Hospitalini ama gerezani? Im Krankenhaus oder im Knast? – ein bißchen info darüber, wie das hier funktioniert.

Hospitalini ama gerezani? Im Krankenhaus oder im Knast? – ein bißchen info darüber, wie das hier funktioniert.

23. Oktober 2024 2 Von Carmikahindo

Am 07.10. bin ich in der Klinik angekommen. Ich bin mir klar, ich gehe freiwillig in einen Zwangskontext und unterwerfe mich fremden Regeln. Ich will herausfinden, was ich brauche, um meine Selbstregulation auf andere Weise zu leben, als das über ein regelmäßiges Über-Essen zu versuchen. Das hab ich jetzt mehr als 40 Jahre lang gemacht (oder sogar doch mein ganzes Leben lang? Ich glaube ja, dass die Wurzeln meines Verhaltens in den frühesten Erfahrungen meiner Kindheit liegen). Und mir ist seit fast 20 Jahren klar, dass mein Eßverhalten ein Symptom ist und nicht das eigentliche Problem. Aber ich habe nach verschiedensten Phasen therapeutischer Begleitung und intensiven Forschungszeiten in Selbsterfahrung, eigenen Weiterbildungen und früheren Klinikaufenthalten so viel von meiner inneren Welt gesehen, gewürdigt und angenommen, dass ich eigentlich gehofft hatte, dass irgendwann die Eßstörung sich von allein auflöst und ich Essen als einen ganz normalen Vorgang der Nahrungszufuhr für meinen Körper sehen kann. Aber das ist bisher noch nicht passiert. Obwohl ich mich im Vergleich zu früher so viel mehr in tiefer Verbundenheit mit mir selbst, mit dem Leben und anderen Menschen erlebe, gibt es da immer noch etwas, was das Essen nicht aufgeben kann. Und ich glaube, dass es ein sehr komplexer Mix aus emotionalen Nöten, Ausblendung von Gefühlen, Lust, Gewohnheit und Futterneid ist. Und dass es sehr schwierig ist, dieses Knäuel so zu entwirren, dass ich mich bewußt für meine Gesundheit und mehr Leichtigkeit entscheiden kann und das dann auch durchhalte.

Darum also ein Zwangskontext. Und die Klinik hier verfolgt einen Ansatz, der es den Patient*innen ermöglichen soll, neu zu lernen, wie sich Hunger und Sättigung körperlich anfühlen, indem es ein Anti-Diät Programm gibt.

Der Körper wird versorgt. Mit regelmäßigen Mahlzeiten aus ganz gewöhnlichen Komponenten. Wer nicht vegetarisch essen will, bekommt zweimal die Woche Fleisch und einmal Fisch. Und sehr typische deutsche Mahlzeiten, Brot und Brötchen, Aufschnitt und Aufstriche, Gemüse, Obst, Reis, Nudeln, Kartoffeln, Salat, Tee und Muckefuck (morgens gibt es wohl Kaffee, aber im Verlauf des Tages nur noch Getreidekaffee) Zucker, Milch, als Zwischenmahlzeit mal einen Schokoriegel oder ein Stück Kuchen. Das Essen ist alles essbar, Salzig und würzig genug für mich. Ein bißchen langweilig. Und so regelmäßig da, dass man immer wieder mit der Aufgabe konfrontiert ist, regelmäßig und ausreichend (aber eben auch nicht zuviel) zu essen. Für diejenigen, die entweder aus einem Anorexie-Kontext oder aus den vielen Diätversuchen einer adipösen Karriere eine Liste verbotener Lebensmittel haben, ist dies bei jeder Mahlzeit eine Herausforderung, diese Lebensmittel essen zu müssen. (Außer bei einer echten Allergie). Für mich ist die Herausforderung eher, meine Gourmet-köchin zu befrieden, der das alles zu langweilig ist, meiner futterneidischen Seite Einhalt zu gebieten, damit sie nicht auf die Teller der anderen geiert und zu beobachten, wann ich durch emotionalen Druck gern mehr essen würde. Dazu will ich merken, , wann ich aufgrund des interessanten Gesprächs mit den anderen unbewußt mehr in mich reinschiebe, als ich bräuchte, um satt zu sein und überhaupt zu merken, wie schnell ich esse und ob ich überhaupt merke, dass ich satt bin.

Ich suche also gut systemisch nach den Unterschieden, die einen Unterschied machen. Und lerne hoffentlich so, dass ich wieder auf die Signale meines Körpers höre und reagiere, mit Essen experimentiere (ich habe die ersten zwei Käseschnitten meines Lebens gegessen und gestern sogar einen Hauch Brie – es bleibt aber dabei, dass ich mein Leben sehr gern ohne kalten Käse gestalte 😉 ) und so meine Möglichkeiten zunächst erweitere und gleichzeitig lerne, sie freiwillig und bewußt einzuschränken.

Denn ich wiege locker doppelt so viel, wie ich bräuchte, um normalgewichtig durchs Leben zu gehen. und die 260 Butterpäckchen, die da in mir gespeichert sind, könnte ich noch nichtmal tragen, wenn sie nicht an mir festgetackert wären. Aber ich trage sie. und zahle den Preis in form von schmerzenden gelenken und Körperregionen, Kurzatmigkeit und immer weniger Bereitschaft, mich zu bewegen. (was dann vermutlich zu einem der gefährlichen Teufelskreise beiträgt.

das Konzept würde ich so beschreiben, es gibt eine Konfrontationstherapie mit den Lebensmitteln, die gleichzeitig eine Desensibilisierung ist. Essen ist Nahrung. Der Körper braucht Nahrung, um gesund zu funktionieren. Du gibst Deinem Körper regelmäßig genau so viel, dass er funktionieren kann, nicht weniger und nicht mehr. Und lernst dabei hoffentlich, wieder intuitiv Portionsgrößen und Zusammensetzung des Essens abschätzen zu können und nicht durch die Brille der Eßstörung alles emotional aufzuladen.

Es ist dabei sinnvoll, während der Mahlzeiten nicht über Essen zu reden – ich merke, wie schwer mir das fällt, weil Essen und die Zubereitung und Produkte und Komponenten von Essen einen so riesigen Raum in meiner Gedankenwelt einnehmen, dass ich auch da beobachten muss, wann und wie die Eßstörung mental über die Beschäftigung mit Essen in mir Macht gewinnt.

Die Regeln in der Klinik gehen noch weiter, in der ersten Woche gibt es keinen Außenkontakt und keinen Ausgang. Das Handy und andere internetfähige Geräte gibt man ab. Und wird so komplett auf sich zurück geworfen. Ganz viel der Ablenkungsmechanismen ist weg. Und es gibt nur entweder die Möglichkeit, sich in den Kontakt mit den anderen in der eigenen Bezugsgruppe zu begeben oder in den Kontakt mit den eigenen Gefühlen und Gedanken, die unweigerlich hochkommen, weil das therapeutische Programm in der ersten Woche noch nicht sehr intensiv ist. Da entsteht jede Menge Material, um es anzuschauen und durchzufühlen. Dann geht es langsam los, mit Gesprächsgruppe, Körpergruppe, Ergo (eine Variante der Kunsttherapie), Ernährungsgruppe und ggf. auch Einzelgesprächen mit den jeweiligen Therapeutìnnen. Alles findet in der gleichen Gruppe Menschen statt, mit denen man auch nach fester Sitzordnung bei den Mahlzeiten zusammen sitzt. Die Gruppen geben sich eigenständig Regeln, wie sie beim Essen miteinander kommunizieren, ob es Tabuthemen gibt und eventuell auch ein Stop-Wort, falls jemand von dem Gespräch gerade sehr angefasst wird.

Dazu kommen diverse Vorträge auch für die jeweiligen Krankheitsbilder und für die übergewichtigen Patient*innen ein obligatorisches Bewegungsprogramm mit Frühsport (morgens vor 7 Uhr) u.a. Fitnessbude und Aquafitness. Ausserdem jeden Tag mindestens eine viertel- oder eine halbe Stunde Therapiespaziergang, in der anfänglichen Schutzzeit (die dauert 2 Wochen, in denen man die Klinik nicht verlassen darf) immer in einer Gruppe.

Es ist also alles durchaus Verhaltenstherapeutisch ausgerichtet und ein sehr fester/bisweilen starrer Rahmen.

Und obwohl ich durch meine Erfahrungen als Seelsorgerin in der Gefängniswelt immer mal wieder Knast-Assoziationen habe, ist es ein guter Rahmen für mich.

Ich habe dann dummerweise am Ende der ersten Woche Corona bekommen und war für beinahe eine ganze Woche aus der Essensgemeinschaft raus und habe stattdessen mit Maske mein Essen abgeholt und auf dem Zimmer verzehrt. Außerdem durfte ich nach dem Wochenende für zwei Tage nicht an den Therapieangeboten teilnehmen. Das fühlte sich dann an wie Isolationshaft. In viel schöneren Zimmern als die Zellen im Knast und auch deutlich angenehmer, aber eben doch sehr stark mit mir und meinem Körper allein. Ich bin so auf jeden Fall in einige Prozesse sehr schnell und sehr tief eingestiegen und war mir sehr dankbar, dass ich durch meine vielen Erfahrungen aus anderen therapeutischen Kontext mit mir selbst allein gut beobachten und auch einiges emotional halten kann.

So ging mit Hilfe einiger Bücher die Zeit erstaunlich gut rum und ich bin gleichzeitig verschiedenen Facetten meines Themas begegnet, aber ich war dann doch froh, dass ich ab Montag mit dem Handy wieder mit einigen engen Menschen in meinem Leben Kontakt halten konnte, weil es sonst vermutlich deutlich zu heftig gewesen wäre. ich habe erst in dem Moment gemerkt, dass ich in den Tagen davor emotional ein wenig gedimmt war, als ich vor Rührung über die Stimme meines Patenkinds in einer Sprachnachricht in Tränen ausgebochen bin und sich mein Herz ganz weit für meine Liebsten geöffnet hat.

Glücklicherweise hat mir die Ergotherapeutin auch Materialien zur Verfügung gestellt, so dass ich zum vorgeschlagenen Thema wenigstens auf dem Zimmer ein Bild gestalten konnte und wenigstens in den kreativen Prozess einsteigen konnte.

Beim Essen war mir die Isolation sogar eine Hilfe. Ich konnte mir selbst auf die Schliche kommen. Ich könnte das Handy oder ein Buch beim Essen auspacken, ich könnte Musik hören, ich konnte mich selbst beobachten, was in mir beim Essen so innerlich abgeht und war nicht durch die Hochsensibilität und die Interaktion mit den Anderen abgelenkt. Nach fast einer Woche war es dann aber auch sehr schön, wieder in der Gruppe anzudocken und dort zu essen.

Das war jetzt erstmal eine kleine Beschreibung des Rahmens, damit ihr wisst, wie das hier funktioniert. Ich konnte erstaunlich gut und erwachsen mit den Beschränkungen und Regeln umgehen und auch die Frei- und Spielräume erkunden, die trotz der Rahmenbedingungen möglich sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich gut für meine Bedürfnisse eintreten kann und dann auch (im Gegensatz zu Knastregeln) mehr möglich war, als zunächst angenommen. Seit diesem Beginn habe ich weiter emotional ein weites Feld meiner Erlebnismöglichkeiten und meiner inneren Anteile erkundet, vieles, was ich schon von mir wusste, ist in mir tiefer ins Gefühl und ins körperliche Spüren „eingefahren“ und davon werd ich bestimmt demnächst nochmal berichten