
Kushukuru kwa Maisha – dankbar sein fürs Leben
So langsam neigt sich meine Reise dem Ende zu… Zumindest was die Zeit in der Klinik angeht. Nächsten Donnerstag reise ich erstmal wieder nach Hause. Hier beginnt der Abschiedsprozess mit vielen letzten Malen. Am Donnerstag war Thanksgiving, im amerikanischen Kontext der große Feiertag des Danke sagens. Danke für alle Segnungen des Lebens für die Menschen, die uns gut tun, für Ernte und Prozesse… Insofern passt das ja.



In meiner churchy Tradition stecken wir gerade „zwischen den Jahren“ im Hinblick auf das Kirchenjahr. Am ersten Advent nächsten Sonntag beginnt das neue Kirchenjahr mit der Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Ich mag dieses „zwischen den Jahren“ am Übergang von November zu Dezember sehr. Unabhängig von Weihnachtsstress und Silvester Trubel gibt mir diese Woche Raum für Abschlüsse und Neubeginne.
Der November mit seinen schweren Themen von Abschied und Tod weicht dem Advent. In der kirchlichen Dramaturgie ebenfalls eine Zeit, die mehr auf die Ewigkeit schaut und auf Gottes großen Plan (bei dem ich immer unsicher bin, ob es den überhaupt gibt oder ob nicht auch Gott völlig prozesshaft ist) als auf das süße Kind in der Krippe. Darum sind die Texte für die Adventssonntage auch durchaus herausfordernde prophetische Stimmen, die die frühen Christen als Hinweise auf Jesus verstanden haben. Visionen von einem anderen Leben, in dem es Frieden gibt, und die Freiheit, miteinander ein gutes Leben zu teilen.
Um dann an Weihnachten das Wunder der Menschwerdung zu betrachten. Dieser unendlichen Gotteskraft, die sich aus Liebe beschränkt und konkretisiert in dieser Geburt eines Menschen- und Gotteskindes, dass das Vertrauen ins Leben und in seinen liebenden Vater nicht verliert. Wenn Christen bekennen, dass Gott selbst in diesem Menschen unsere menschliche Geschichte teilt, hat dies für mich eine unglaubliche Tiefe.
Die Quelle des Lebens wird zu einem endlichen und beschränkten Menschenleben. Gefährdet, verletzlich und angewiesen. Wenn Gott sich so in die Welt hinein begibt, gibt Gott selbst jegliche Kontrolle auf. Geboren wie wir, von Anfang an mit den Herausforderungen konfrontiert, und gerade darin ganz Gott, dass dieses Menschenkind das Mensch Sein ganz und gar umarmt. Annimmt, dass zum Mensch sein alles dazu gehört: Denken und Fühlen, lieben und leiden, gewinnen und verlieren. Und da, wo wir uns so oft in den Fäden des Lebens verstricken, verirren und verwirren und den roten Faden verlieren, schreitet dieser Gottes Sohn voller Vertrauen an seinem roten Faden durch sein Leben. Er lebt in Liebe. Er lässt sich anrühren von denen, die ihm begegnen. Er setzt Grenzen. Und er gibt sich immer wieder hin. Vertraut der Lebendigkeit, die er seinen Vater nennt und flieht nicht vor dem, was er auslöst. Er öffnet Räume und nimmt an, wenn andere ihm den Raum nehmen, weil ihre Angst und ihre Verstrickungen seine Freiheit und Liebe nicht aushalten.
Dieses Gotteskind, sagen die Glaubenden, ist nur der erste von vielen. Selbst der Tod kann ihn nicht aufhalten.
Ich lebe, und ihr sollt auch leben hat er gesagt.


Dazu gehören die Tränen. Die Wut. Die Angst. Die Einsamkeit. Die Ekstase und die Glücksmomente. Und die Aufgabe der Illusion, dass wir das Leben kontrollieren könnten.
Diese Jesusgeschichte ist eine Geschichte des ganzen Lebens. Die nicht nur an die Ränder führt sondern mitten in das Herz des Lebens. Da wo wir uns immer wieder entscheiden müssen, ob wir uns auf dieses Paket Lebendigkeit einlassen wollen und können, oder ob wir erstarren und so die kleinen Tode der Angst wählen. Die kleinen Tode der Hilflosigkeit. Die kleinen Tode unserer Geschichte.

Im hebräischen gibt es das Wort Shalom, es steht für einen umfassenden Frieden, mit sich selbst und mit anderen. Wahre Lebendigkeit ist vielleicht, all das, was im Leben passiert, zu sehen, zu spüren, manchmal auszuhalten und dabei dennoch im Frieden zu sein damit, dass es gerade ist wie es ist. Sich nicht zu verlieren, in den Einteilungen in gut und schlecht, richtig und falsch, ganz oder gar nicht, sondern in den Zwischenräumen Atem zu holen für den nächsten Schritt. Egal ob der in den Schmerz oder in die Glückseligkeit führt. Denn nichts davon ist von Dauer. Alles ist in permanenter Veränderung, wenn wir uns nicht daran festhalten.
Ich bin dankbar für meine Zeit hier in meiner inneren Fremde, die mir manchmal allzu vertraut vorkommt. Ich bin dankbar, dass ich hier einen Rahmen gefunden habe, in dem ich erforschen kann, was in mir geschieht, wenn ich mich nicht in meine Überlebensmuster und Fähigkeiten rette. Wenn ich aushalte, dass ich ganz viel nicht kontrollieren und bestimmen kann.
Wenn ich immer wieder anderen Menschen begegne, die genau wie ich kämpfen darum, dass sie ihr Leben leben können. Die vielleicht ähnliche Fantasien haben, man könne es doch sicher in den Griff kriegen. Die wissen, was scheitern ist. Und sich manchmal übel entwerten dafür.
Ich bin dankbar für die Frauen, die mit mir hier ihren Weg gehen. Mit einigen bin ich in Kontakt gekommen. Habe in ihnen etwas gefunden, was ich aus meinem Erleben kenne. Das hat große Nähe ermöglicht, und ein Verständnis für die andere, was ich mir manchmal selber nicht entgegenbringe. So haben wir im Mitgefühl füreinander unser Mitgefühl für uns selbst gestärkt. „Liebe deinen Mitmenschen, er/ sie ist wie du.“ So ähnlich übersetzt Martin Buber das Nächstenliebe Gebot. Im Spiegel deiner Augen kann ich mich besser sehen. In deinem Schmerz meinen Schmerz fühlen. Im Mitgefühl für dich mir selbst gegenüber gütiger werden.



Ich bin dankbar für die tiefen therapeutischen Gruppenprozesse, vor allem in der Ergo- und Kunsttherapie, und teilweise auch in der Körpertherapie, wo mich die Geschichte der anderen immer wieder zutiefst berührt hat und dafür geöffnet hat, auch für meine eigene Geschichte Verständnis aufzubringen. Und wo ich immer wieder mal aus dem ewigen vergleichen und bewerten herausgetreten bin und mich in Liebe diesen Frauen und ihren Geschichten zutiefst verbunden gefühlt habe. Sie sind wie ich. In ihrer eigenen Facette. Besonders. Einzigartig. Wunderschön. Liebenswert. Und keine von ihnen hat ihren Wert durch irgendeine Leistung.




Die Würde wird uns verliehen. So werden wir zu Würdenträgerinnen, weil wir in uns die Liebe Gottes tragen. Den Atem des Lebens.



Mit anderen Frauen ging das kaum oder gar nicht. Das war manchmal schmerzhaft, weil ich so sehr wahrgenommen habe, wie ihre Schutzmechanismen wirken, wie ihre unsicheren Anteile und Seiten manchmal hervorblitzen, aber trotzdem echter Kontakt zwischen uns kaum möglich war. Ich hoffe, dass sie mit anderen Gesprächspartnerinnen das gefunden haben, was sie aushalten und vertragen konnten.
Die anderen zu sehen, sehr viel zu fühlen, was von außen viel deutlicher ist als vielleicht gerade von innen, zu merken, wie sie Gefühle auslösen, manchmal Abwertung, manchmal Selbstabwertung, und dabei immer wieder zurückzufinden zu der Liebe, in der ich leben will, war immer wieder sehr herausfordernd.
Denn mit meinen Mitreisenden gab es jede Menge Wechselwirkungen. Einladungen, mich oder sie doof zu finden. Heftige Affekte, manchmal stabilisiert durch die Gespräche mit wieder anderen. Es ist ja so wunderbar, sich zusammen aufzuregen. Denn wir sind ja auf einer eigenen Reise zu unterschiedlichen Zielen, kommen aus unterschiedlichen Welten und nehmen die Welt unterschiedlich wahr.
Ich bin dankbar für alle, die sich zart und verletzlich gezeigt haben. Die ihre Gefühle nicht weggepackt haben. Denn da, wo Einzelne in ihrer Unsicherheit und Verletzlichkeit sichtbar wurden, wurde der Raum sicherer für alle. Denn gemeinsam konnten wir spüren, wie das Schicksal unseres Gegenübers uns anrührt. Wie unser Impuls zunächst ist, zu trösten und zu halten und nicht aufeinander einzuprügeln mit Worten oder Blicken, wie wir es befürchten, falls wir uns selbst schwach zeigen.

Das ist ja das krasse an solchen uralten Glaubenssätzen, dass sie uns sehr im Zaum halten, weil wir Schlimmes befürchten. Vermutlich, weil wir mal Schlimmes erlebt haben. Und das auf keinen Fall wiederholen wollen. Doch nur in der Bereitschaft, das Schwache und Ungeliebte in den Blick zu nehmen, kann neuer Kontakt und auch Heilung geschehen. Dann erfahre ich: du bist in Ordnung wie du bist. Du darfst deinen Schmerz haben und teilen. Und wir haben eine Ahnung davon, was diesen Schmerz ausgelöst hat, selbst wenn wir die Geschichte nicht kennen. Denn diese Stelle, wo es immer weh tut, kennen wir selbst sehr gut.
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Und natürlich bleibt das alles fragmentarisch, so wie wir Menschen immer auch bruchstückhaft, widersprüchlich, gegensätzlich sind. Und auch wenn irgendwo in mir die tiefe Sehnsucht nach völliger Verbundenheit klingt und darauf wartet, endlich Frieden zu finden, so ist mir doch auch klar, dass dies etwas ist, was im Leben allenfalls in kurzen Momenten erlebbar und stimmig ist
Immer wieder gab es diese Augenblicke, wo mir der Atem weggeblieben ist. Wo ich am liebsten einfach aufgehört hätte, ein und auszuatmen. Sondern in dieser besonderen Stille zwischen den Atemzügen gerne verharrt hätte. Vielleicht hat die Körpertherapeutin Frau R. recht, die meinte dass da eine Sehnsucht schlummert, die vorgeburtlich oder spirituell ist.

Das es gar nicht darum geht, vor lauter schlimmen Erfahrungen nicht mehr leben zu wollen, (meine Angst und Hypothese) sondern darum, sich körperlich daran zu erinnern wie das war, völlig getragen und geborgen zu sein
Vielleicht ja im Mutterleib. Oder noch vor der Zeugung in der umfassenden Präsenz Gottes. Eine Freundin von mir hatte früher die Vorstellung, dass wir vor unserer Geburt und unserem menschlichen Leben im großen Babyteich irgendwo schon vorhanden sind, bevor wir unsere Reise auf Erden antreten und wohl auch jenseits des Todes dorthin wieder zurückkehren.
Hier im Leben ist alles flüchtig und ändert sich. Der Prediger hat gesagt: alles hat seine Zeit… Und es gibt die Zeit des einatmens, das ausatmens und des Atems anhaltens.
Eine Zeit des Forschens und des Weinens über alten Schmerz. Eine Zeit der Wut, über die Ungerechtigkeit der Welt und der eigenen Erfahrungen, aber eben auch eine Zeit der Freude, die im Augenblick sieht, was gerade schön, lustig oder kostbar ist.



Ich habe das Gefühl, ich habe meine Sinne und Wahrnehmung in den letzten Wochen kräftig trainiert. Selbst in den tiefsten emotionalen Wellen war ich selbst in einer Situation der Beobachtung dessen, was ich gerade erlebe. Ich habe mich nur selten abgewertet und nur ab und zu selbst betrogen. Ich bin dankbar für meinen Mut, mich all dem zu stellen was in mir auftaucht.
Ich bin dankbar für die Menschen die hier in der Klinik im therapeutischen und Pflegeteam meine Gegenüber waren. An manchen habe ich mich abgearbeitet, habe mich gefragt warum ausgerechnet dieser Mensch jetzt meinen Prozess begleiten soll, über manches habe ich mich ab und zu geärgert, aber oft hatte ich ein großes Einverständnis mit allem, wie es gerade ist.
Und auch diejenigen, die mich durch ihre Art in der Welt zu sein erstmal irritiert, geärgert oder verwundert haben, hatten oft etwas, was ich durch unsere Begegnung lernen durfte. Ausprobieren, wie ich für mich eintreten kann. Mir auf die Schliche kommen, wenn meine innere 14-jährige Randale macht. Feststellen, wie ich Spielräume auslote und Regeln misstraue. Und mich trotzdem in viele Regeln fügen kann, auch wenn ich sie nicht alle einsehe.
Ich bin zutiefst dankbar für den Kontakt mit meinem Liebsten und mit denjenigen, die meine sounding boards und Resonanzräume waren, die mich angenommen haben mit all dem , was gerade da war, egal ob emotionale Leere oder Welle von Tränen, Zorn oder Sprachlosigkeit.

Ich bin meiner Familie dankbar, dass sie mir den Raum gegeben haben und ausgehalten haben, dass ich gerade wenig Kontakt halten konnte. Dass ich ihnen zugemutet habe, meine Forschungsreise in meinen Worten zu teilen, obwohl es ja auch ihre Geschichte ist, die sie vielleicht ganz anders beschreiben würden.

Ich danke all den Beterinnen und Betern, in Afrika in Amerika und in Deutschland, die ich am Anfang meiner Reise gebeten habe, diesen Weg zu begleiten. Gott war mir nah auf dieser Reise, und die Hoffnung auf neues Leben hat mich die schwersten Tage durchhalten lassen.

Ich bin auch sehr froh um Google Fotos, das mir alle paar Tage Erinnerungen vorgeschlagen hat, an Menschen, Dinge und Ereignisse, die mein Herz weit gemacht haben und mich erinnert haben, dass ich nicht in dem alten Kram versinken muss, sondern ein Leben habe, Menschen die mich lieb haben, ganz viele Ressourcen und Fähigkeiten und das es auch Orte gibt, wo diese gefragt sind und fließen dürfen.





Ich bin dankbar für jede Postkarte, whatsapp-nachricht oder Signal. Für diese ganzen Zeichen , dass Menschen an mich denken und mir Gutes wünschen. Auch wenn ich euch nicht einzeln geantwortet habe, hat mir das viel Kraft gegeben.
Ich bin dankbar, dass ich mich von meiner arbeitswelt weitgehend abschotten durfte. Ich weiß, mein Ausfall hat anderen viel zugemutet. Das tut mir sehr leid. Und ich bin froh darum, dass ich trotzdem diesen Weg eingeschlagen habe, auch wenn ich mir mal gedacht habe, dass ich das natürlich viel kompakter und mit weniger Störung für alle anderen hinkriegen würde und sollte (meine innere Macherin Marie-Luise meint ja, dass sie alles schaffen kann)
Ich bin mir dankbar und stolz auf mich, dass ich mich auf diesem Weg eingelassen habe. Ich habe keine Ahnung wohin er führt, ob es in meiner Tiefe nun genug Selbstfreundlichkeit gibt, dass ich mich nicht mehr im entweder oder verliere.

Ich bin gespannt, ob ich anerkennen kann, dass meine Kraft begrenzt ist und ich gut auf mich achten muss, damit ich nicht in schädliche Muster falle, egal ob beim Essen oder beim fühlen. Das vergessen meine starken und fähigen Anteile nämlich gerne mal.
Ich bin dankbar, dass ich immer wieder Worte gefunden habe. Dankbar für euch, die ihr mich im lesen und euch wiedererkennen (oder auch nicht) begleitet habt und vielleicht in meiner Geschichte Spuren von eurer entdeckt habt. Denn ihr seid meine Mitmenschen. Ihr seid wie ich. Jeder ein bisschen anders im Leben unterwegs, jede mit Herausforderungen und (anscheinend) Unüberwindbarem und Unabänderlichem.
Jede und jeder mit der Fähigkeit, immer wieder zu wählen, wie du dein Leben beschreibst und erlebst.
Denn solange wir leben, sind wir veränderliche Wesen. Was für ein Segen!
Bleibt behütet

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