
Kwenda bila kuagana? – Gehen ohne sich zu verabschieden?
Ein Abschiedsbrief für meine TS-Menschen

Ich erinnere mich gut daran, wie wir vor etwas über einem Jahr den Abschied meines Kollegen Ulrich gestaltet haben. Es war herzlich. Es war warm und würdig. Es war persönlich. Zumindest war das der Plan.

Als diejenige, die diesen Tag geplant hat und sehr viel Energie dafür verwendet hat, fühlte ich mich an diesem Tag auf der Höhe meiner Kraft, geerdet in der Tiefe meiner Verbundenheit zu meinem Kollegen und zu Euch und mit ganzem Herzen dabei. Es war ein Fest mit allen Emotionen.

Abschiede sollten gestaltet werden. Das ist mir wichtig. Das habe ich bei Beerdigungen als Ritual-Leiterin für die Menschen getan, die sich von einem geliebten Angehörigen verabschieden mussten. Das war mir an den Stationen meines eigenen Lebens bisher immer ein Anliegen. Dazu habe ich auch oft diejenigen ermutigt, die sich aus dem aktiven Dienst verabschiedet haben.


Und jetzt, ein Jahr später vollzieht sich mein Abschied. Von den Menschen, die ich in der Telefonseelsorge ausgebildet und supervidiert habe, von meiner Arbeit im Kirchenkreis Koblenz (immerhin 20 Jahre lang in verschiedenen Aufgaben), von Vorstellungen und Selbstbildern.

Ab übermorgen bin ich „Pfarrerin im Wartestand aus gesundheitlichen Gründen.“ Zur Zeit dienstunfähig. Viele Worte, die ein großes Dazwischen beschreiben. Ich bleibe im Dienst der Kirche und habe für die nächste Zeit eine finanzielle Absicherung, für ich sehr dankbar bin. Doch ich weiß nicht, wann ich wieder in der Lage sein werde, meinen Dienst aufzunehmen und was dann die Aufgabe sein wird. Und ob es überhaupt eine passende Stelle geben wird, oder ich irgendwann in einer Art Vorruhestand lande.
Nach fast einem Jahr im Krankenstand finde ich es wichtig, dass es für die Telefonseelsorgedienststelle endlich eine verlässliche hauptamtliche Begleitung gibt, die ich gerade nicht sein kann. Und es tut mir leid, dass dieser Prozess in kirchlich behördlichen Mühlen so lange gedauert hat. Ich hätte euch da viel früher Klarheit gewünscht. Aber so sollte ich das halt auch nicht kommunizieren, bevor die Dinge entschieden sind und fühlte mich dadurch gar nicht in der Lage mit Euch zu kommunizieren. Diese Information auszusparen, hätte sich wie Lügen angefühlt.

Wobei, es ist auch Teil der Erkrankung, dass ich es gerade noch nicht mal schaffe, von mir aus mit den Leuten in Kontakt zu treten, mit denen ich gerne zusammengearbeitet habe und die ich vermisse. Und erst recht nicht mit denen, die ambivalente Gefühle in mir auslösen. Dafür bräuchte ich klare Kontaktangebote, um vielleicht reagieren zu können. Wenn die ausbleiben, hänge ich in einer Art hilflosen Warteschleife.
Gleichzeitig tut es mir total weh, so wort- und grußlos in der Versenkung zu verschwinden. Das ist so ein Anti Klimax zum Abschied des Kollegen. Es fühlt sich hohl und leer und traurig an. Irgendwie unendlich einsam und falsch. Doch anscheinend passiert das jetzt so. Mein Abschied – ein Verwaltungsakt. Ein Schreiben auf dem Dienstweg. Ziemlich krasse Erfahrung.
Als ich im Dezember 2015 die Bewerbung für die Stelle in der Telefonseelsorge abgeschickt habe, war das total stimmig. Ich hatte Lust auf die konzentrierte Arbeit in der Seelsorge-Ausbildung und in der Begleitung hochkompetenter Ehrenamtlicher.
Die Arbeit in der Kirchengemeinde habe ich dafür aufgegeben. Ein Schritt, der mir schwer gefallen ist, obwohl er sich richtig anfühlte. Ich habe lange um die Vielfalt und Buntheit der Arbeit in der Kirchengemeinde getrauert. Doch das halbe Jahr zwischen der Klarheit, dass ich die Stelle übernehme und Antritt der Stelle gab mir Zeit für gute Abschiedsbegegnungen. Und dann habe ich mich mit vollem Elan in das neue Arbeitsfeld geworfen und mir dort meinen Platz gesucht.

Das hatte Höhen und Tiefen. In der Begrenztheit einer halben Stelle für Euch, die Ehrenamtlichen da zu sein, die den Dienst 24/7 am Telefon sicherstellen, bietet schon strukturell jede Menge Einladungen zum Mangelerleben. Bei Euch aber auch in mir. Das innerliche Spannungsfeld zwischen voller Verantwortung bei begrenzter Verfügbarkeit war in der ganzen Zeit sehr bewusst in mir.
Wie organisiere ich mich so, das für die Mitarbeitenden spürbar wird, dass ich für sie da bin und sie sich auf meine Unterstützung verlassen können, auch wenn ich nur ein Kontingent von 20,5 Stunden die Woche habe? Und davon allein durch die Ausbildung auch nicht alle in der Dienststelle verbringen kann? Gegen dieses unterschwellige „die Hauptamtlichen sind ja nie da“ Gefühl bin ich oft nicht angekommen.
Wie geht das mit der Erreichbarkeit, falls nachts oder am Wochenende ein Notfall eintritt, wenn es gleichzeitig gar keine klar abgesprochenen Bereitschaftszeiten gibt? Bin ich dann auch in einer halben Stelle immer im Dienst?
Wie ist das, wenn man so viel sieht, was für die Kommunikation und den Beziehungsaufbau zwischen den Aktiven wichtig wäre, aber eigentlich gar nicht die Kapazität hat, um mehr als eine Art Grundversorgung zu leisten?
Und wie geht das wenn in all dem die strukturellen Bedingungen so ver-rückt sind, dass sie unendliche Reibungsverluste mit verschiedenen Beteiligten in unterschiedlichsten Konstellation zwangsmäßig immer wieder entstehen lassen?
Ich habe acht Jahre lang versucht, mich mit meinen Gaben und Fähigkeiten auf verschiedensten Ebenen für diese Seelsorgearbeit am Telefon einzubringen.

Ich war als Teil des nicht hierarchischen Leitungsteams oft auf der Suche nach Klärung und Klarheit, die sich nicht herstellen ließ.
Menschen sind halt autonome Systeme.
Und die unterschiedlichen Perspektiven haben nicht immer das Ganze im Blick gehabt.
Ich habe es geliebt, in der Ausbildungsgruppe Lernräume zu öffnen, in denen die Azubis sich selbst besser verstehen und innerlich wachsen konnten und ihre seelsorgliche Haltung kennenlernen und kultivieren. Das hat mal besser und mal schlechter geklappt.
Ich fand es hochspannend, in den Supervisionsgruppen (trotz aller Rollen Unklarheit als gleichzeitige Leitung) miteinander auf Forschungsreise zu gehen,was eigentlich geschieht, wenn wir im Gesprächskontakt sind. Was fördert gelingenden Kontakt? Wann und wo stolpern wir als Seelsorgende über eigene Themen, eigene Ansprüche oder auch Vorurteile? Und wie können wir gleichzeitig gut für uns sorgen und offen bleiben für ein Gegenüber, der oder die ist und bleiben kann wie er oder sie ist?
Es wurde immer wieder für mich spürbar, wie ich mit dem Leitungshut auch zur Projektionsfläche aller möglichen Gefühle geworden bin. Wie meine Art, Dinge anzugehen und auszudrücken für manchen zum roten Tuch wurde. Aber das war okay, ein bisschen Arschkarte ist in der Leitungsrolle immer mit dabei. Vermutlich bin ich auch nicht immer professionell geblieben sondern habe mich von manchem treffen lassen.
Weil ich ja auch Triggerpunkte habe.
Diejenigen, die dann etwas abbekommen haben, was vielleicht gar nicht mit ihnen zu tun hatte, bitte ich um Vergebung.
Die lange Zeit der Krankheitsvertretung und gefühlt ganzen Verantwortung auf meinen Schultern während der Krankheit des Kollegen hat Spuren in mir hinterlassen. Deswegen war ich bei meinem eigenen Ausfall auch wie gelähmt und voll von schlechtem Gewissen und Scham, der neuen Kollegin nun gleich dasselbe zuzumuten, noch dadurch verstärkt, dass sie ja noch kaum angekommen war.
Auch wenn ich mir immer wieder sage, dass ich daran ja nicht schuld bin und mir meine Krankheit nicht ausgesucht habe, bleibt dieses Gefühl immer wieder sehr mächtig. (Ach diese verflixte Selbstbilder, die wir von uns haben).. Vor allem als ich mitbekommen habe, das auch für sie von Seiten der Verantwortlichen bei den Trägern keine entlastende Lösung gefunden wurde.
Letztendlich hat aber genau das dazu geführt, dass mir klar geworden ist, dass ich in den Strukturen unserer Telefonseelsorge nicht arbeiten und gesund bleiben (oder erstmal werden) kann. Vielleicht liegt das an meiner Persönlichkeit, an einer Kombination von hoher Sensibilität, hohem Engagement und hohem Anspruch bei begrenzten Ressourcen.


Vielleicht liegt es an Strukturen, die immer wieder Unklarheit und Konflikte reproduzieren, die ein konstruktives miteinander schwer machen.
Das ist so tragisch, weil gute Kommunikation ja unser Business ist und ich uns selbst immer wieder daran habe scheitern sehen.
Vermutlich wird es in dieser Geschichte im Nachhinein jede Menge Zuschreibungen geben. Wer war der oder die Böse oder Unfähige oder zu Dünnhäutige… Das werden wohl spannende Geschichten werden.

Die Tatsache, dass auch die Kollegin das Handtuch geworfen hat, bedeutet für mich, dass da irgendwo der Wurm drin ist, und zwar über persönliche Befindlichkeiten hinaus.
Aber ich kann und will das nicht mehr lösen.
Ich habe im Engagement für diese Arbeit immer wieder meine Grenzen missachtet und zahle nun mit einer kaum einzudämmenden Erschöpfung und vielschichtigen Dysregulation, körperlich wie emotional.
Ich muss gehen, damit ich mich nicht verliere. Und ich hoffe, dass diese komplette Veränderung auch für die Telefonseelsorge eine Chance ist. Dass man nicht neuen Wein in alte Schläuche kippt, sondern noch mal gemeinsam darüber nachdenkt, wie gute Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten in diesem wichtigen Feld gestaltet sein müssen.
Ich habe an diesem Nachdenken keinen Anteil mehr. Ihr hoffentlich schon.
Aber ich möchte noch sagen, dass ich vieles und viele sehr gern hatte und habe, dass ich mit Euch und durch Euch sehr viel gelernt habe.

Dass ich dankbar bin, dass ich während der vergangenen neun Jahre mit Euch unterwegs sein durfte. Es war nicht die konkrete Arbeit in Supervision und Ausbildung und am Telefon, die mich zu diesem Schritt bewogen hat, darin habe ich viel Glück erlebt.
Ich wünsche euch, dass ihr euer Herz für die Anrufenden trotz der Wirbel und Querelen dieser unsicheren Zeit jetzt offen halten könnt. Dass ihr in naher Zukunft wieder Dienst machen könnt und wollt. Dass Ihr dabei selbst gut begleitet werdet. Und auf Euch und aufeinander achtet.
Es tut mir leid, wie es endet. Ich hätte mir was anderes gewünscht. Für mich und auch für Euch.
Ich gehe. Weiß noch nicht genau wohin. An manchen Tagen mit Heulen und Zähneknirschen.

An anderen mit der Zuversicht, dass das Leben, das Universum und der liebe Gott mich einfach an den nächsten Platz führen werden, wo ich richtig bin. Wo es vielleicht ein nicht so hohen Preis hat.
Bleibt behütet
Kwa Heri – mit Segen
Carmen

Liebe Carmen,
ich weine dir Tränen nach.
Pass gut auf dich auf.
Alles alles LIebe für dich.
Ursula Bast
Liebe Ursula,
Vielen Dank
ich weiß, dass ich schon jetzt vieles und viele vermisse. Ich habe unsere Kontakte oft als sehr besonders erlebt: vorsichtig forschend, und dann aber echt im Kontakt und in Begegnung.
Ich wünsche auch Dir ganz viel Liebe und Mut für Dich und Deinen Weg!
Bleib behütet!
Carmen
Liebe Carmen, erst vor wenigen Tagen habe ich an dich gedacht und das Ffolgende geschrieben:
„Was hätte uns Carmen wohl für eine Predigt geschrieben, wenn sie noch da wäre?
Leider weiß ich es nicht und so halte ich mich an Bach. Am 28.07.1750 ist Sebastian Bach gestorben, gestern war sein 275 Todestag. Bach sagt nicht jedem was, ich weiß.
Zwei seiner Stücke sind zu meinen Wegbegleitern geworden.
Das erste ist „Jesus bleibet meine Freude“ Der Choral aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“. Auf solche Namen muss man erst einmal kommen.
Jesus bleibet meine Freude
Meines Herzens Trost und Saft.
Jesus wehret allem Leide.
Er ist meines Lebens Kraft,
Meiner Augen Lust und Sonne,
Meiner Seele Schatz und Wonne.
Darum lass ich Jesum nicht
aus dem Herzen und Gesicht.
Auch ich kenne zeiten, da ist meine Zuversicht schwer gebuetelt, mein mut gesunken.
Depression ist nichts für feiglinge. meine zuversicht wird dann von einem anderen bach aufgebaut:
Schafe können sicher weiden,
wo ein guter Hirte wacht.
Wo Regenten wohl regieren,
Kann man Ruh und Frieden spüren
Und was Länder glücklich macht.
Diese musik tröstet mich auch in schwierigen situationen. Es gibt sie auf youtube.
dir wünsche ich kraft und neuen mut und ein türchen das still und leise audfgeht.
deine predigten fehlen mir, es wäre schön dich wieder predigen zu hören!
Liebe Jana, da hast Du recht, Depression ist echt nix für Feiglinge.
Wie schön, dass Bach Dein Herz so berührt.
Ich hab leider sehr wenig Zugang zu klassischer (Kirchen)Musik und dann oft nicht die Geduld, mich wirklich einzulassen.
ich hoffe, ich werde wieder öffentlich sprechen und auch predigen.
Wenn es soweit ist, nehm ich Dich gern in meinen Leseverteiler
bzw. vielleicht werde ich auch hier auf der Seite Texte teilen.
Das kann man abonnieren, dann kriegst Du eine mail, wenn ich was schreibe.
Die Theologie und die Seelsorgerin ist glaub ich nicht so schnell aus mir rauszukriegen.
Wobei ich derzeit mein Heil mehr in der Kunst suche. Da finde ich flow und manchmal auch Freude
Sei herzlich umärmelt
Carmen
Liebe Grüße