
Kuangalia na kushangaa – schauen und staunen
Jahreswechsel 2024-2025
Seit Tagen tauen die Rauhreiffäden nicht mehr komplett auf. Der Bambus im Garten wirkt wie in Zucker getaucht.
Die Bäume sind heute wieder mehr wintergrau, der Nebel hat sich nach oben verzogen, die Eifel verschwindet im Dunst aber der Brückenpfeiler der Rheinbrücke steht sicher im Grau und der nächste Hügel zeichnet sich klar ab in diesem unscheinbaren Mittagslicht.
Noch 12 Stunden dann ist 2024 Geschichte.
Und was für eine. Was für ein Jahr mit wie viel Bewegung, innen wie außen. Und dabei spreche ich gar nicht mal von all dem, was politisch und sonst so los war, sondern nur von meinem kleinen Leben.
Heute vor einem Jahr lag ich in einem Hotel in Sansibar in einem klimatisierten Zimmer (Gott sei Dank konnten wir das Hotel wechseln), war froh, wenn ein Schluck Wasser in mir drin blieb und habe die Hitze und den Tag ausgesperrt.
Diese Zeit, sich zwischen den Jahren zu verlieren fühlt sich anders an bei 33 Grad und 100% Luftfeuchtigkeit.
Die innere Arbeit, gut miteinander in Kontakt zu sein als Paar und gut für mich zu sorgen, war während Ollis Besuch Tansania immer wieder gefordert. Und ich habe lernen müssen, dass wir sehr unterschiedlich sind. Dass meine Liebe zu der afrikanischen Lebendigkeit sich nicht automatisch auf Olli überträgt, bloß weil er sich auf die Reise gemacht hat. Obwohl oder vielleicht gerade weil es mir so wichtig gewesen wäre, dass er etwas von „meinem Afrika“ spürt und erlebt. Ganz andere Dinge beschäftigen ihn, ganz andere Erfahrungen macht er, gerade mobilitätseingeschränkt und auch sprachlich zwischen Englisch und Suaheli nicht zu Hause.
Ich kann bewundern, wie ein starker Mann ihn die Treppe hinunter zum Boot trägt, und die Leute für alles eine Lösung finden, er muss es über sich ergehen lassen, fast wie ein Kartoffelsack über die Schulter gelegt zu werden.
Jedenfalls war der Übergang von 2023 zu 2024 ein herausfordernder.
Ich musste mich sehr anstrengen, um in meinem „Teil einer Paarbeziehung sein“ gleichzeitig bei mir zu bleiben. Nicht in meiner Fürsorge übergriffig zu werden und gleichzeitig nicht zu viel Verantwortung zu übernehmen. Und wir hatten es eigentlich gut geplant, damit das nicht passiert. Aber das Leben macht das manchmal anders.
Und ich bin dankbar für diese Lernerfahrung, weil es mir viel von unserer Dynamik klar gemacht hat.
Spannend war, wie ich sofort nach Ollis Abreise wieder ganz in mir zu Hause war. Als dürfe ich nicht bei mir bleiben, wenn ich mit Olli sein will. Und das passiert so automatisch dass ich es kaum Steuern kann. Ich bin dann einfach innerlich so auf ihn eingestellt, dass ich mich selbst kaum noch spüre. Und sobald ich nur eigenverantwortlich bin, bin ich ganz klar da und lebendig. Verrückt.
Doch ich bin so tief dankbar dass ich den Abschied von meinen tansanischen Freundinnen, von diesem Leben im Jetzt mit purer Selbstverantwortung und sonst nichts geplanten, für mich stimmig und passend gestalten konnte.
Meine sehr unterschiedlichen Gefühle zulassen und auskosten. So dass es sich dann letztendlich alles gefügt hat wie es passte. Und ich irgendwann im Bus nach Nairobi saß und von Milany als Vermieterin sehr freundlich und hilfreich begleitet wurde…
Dort organisierten wir, wie ich per Taxi in mein Camp zu kommen und einen wunderschönen Tag in der Massai Mara verbracht habe… Nur der Fahrer, das Auto und ich unterwegs in einer Landschaft großer Weite und Grenzenlosigkeit (obwohl wir ja die Grenze zwischen Kenia und Tansania begangen haben) in der die Tiere die Menschen nicht fürchten sondern mehr so ignorieren.
Dann kam der nächste Teil der Reise. .. nach beinahe 30 Jahren noch einmal in den Kongo. Zu Besuch bei meiner kongolesischen Wahlfamilie. In einer Stadt voller Gewalt und Trauma, voller Lebendigkeit und Alltag. Alles gleichzeitig alles ineinander und übereinander. Und ich als Pastorin Carmen mittendrin auf Kirchenbesuch ganz offiziell. Dabei in Verbindung mit meiner lieben Freundin Faida, die extra angereist ist, um mich zu sehen und sicher wohnend bei Onkel Kakule, bei dem ich mich trotz aller Freiheit plötzlich wieder fühlte wie eine Studentin Mitte 20.
Es war unglaublich, wie mich die Energie von Lähmung und Unsicherheit ergriffen und bis zu körperlich mitgenommen hat. Und wie ich gleichzeitig funktioniert habe, gepredigt, Gespräche geführt habe mit ganz unterschiedlichen Menschen zum Thema Trauma und Schutz vor Traumatisierung bei Menschen die mit anderen arbeiten, kirchlicher Verantwortung für Mitarbeitende, wie ich berührt wurde von den Geschichten der Frauen die für ihr Unglück auch noch gesellschaftlich und kirchlich bestraft werden, wenn sie angegriffen oder vergewaltigt worden sind.
Gleichzeitig hat mich die allgegenwärtige Unsicherheit zu der Frage geführt, wie Menschen, vor allem Kinder, die in den letzten 30 Jahren nur Krieg, Unruhen und Unsicherheit erlebt haben zu stabilen und gesunden Menschen heranwachsen können.
Mir schien es, als gäbe es keinerlei Vertrauen in das politische System und demokratische Strukturen. Woher auch. Die DRC ist eine riesige auf mich unregierbar wirkende Region, in der es gleichzeitig viel Nationalstolz, viel Elend und einen unausrottbaren Optimismus gibt, dass das Leben mit Gottes Hilfe weitergeht.
Ich habe für mich erkennen müssen, dass ich in den Kongo nicht für eine längere Zeit zurück kann, wenn ich dabei gesund bleiben will. Das ist ein trauriger Abschied von Vorstellungen und Ideen. Und auch von Menschen in gewisser Weise. Und das fühlt sich schändlich an, diese Verbindung nicht wirklich weiter leben zu können. So als würde ich das Land und die Menschen genauso vergessen, wie der Rest der Welt diesen ewigen Krieg ignoriert. Und gleichzeitig von der Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe und Schätze des Kongo profitiert…
Ich bin zurückgekehrt nach Deutschland. In mein Leben. Bin aber gefühlt nicht mehr die gleiche. Und das war gar nicht so einfach.
Beim Einstieg in die Arbeit ist mir sehr deutlich geworden, dass ich erstmal besonders gut arbeiten will, ich bin ja so lange weg gewesen. Ein schlechtes Gewissen, weil ich diese Freiheit genutzt habe, die das System und mein Arbeitgeber mir bieten. Und irgendwie gleichzeitig das Bedürfnis, jetzt besonders brav zu sein und gut was zu leisten.
Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, dass die veränderte Carmina da gar nicht so mitmacht, wie das vorher normal war. Dass mein Körper mir Belastung deutlicher anzeigt, dass ich psychisch ungute Strukturen stärker spüre und sie mich mehr mitnehmen.
Mein Gewicht, dass in den Monaten in Afrika relativ problemlos nach unten gegangen ist, ohne dass ich da regulierend drauf eingewirkt hätte, war innerhalb von wenigen Wochen wieder drauf. So als müsste mich mein System hier schützen und panzern.
Meine Knie und Gelenke haben mit Schmerz reagiert. Und der hat mich langsam wach gemacht für meinen Umgang mit mir selbst. Und mir ist klar geworden, dass ich für meine Gesundheit selbstverantwortlich etwas tun muss. Ich habe verstanden, dass ich das in den alten Strukturen und im alten Muster nicht im Alltag hinkriege. Und gleichzeitig, dass es gute Gründe gibt, jetzt noch in der beruflichen Verantwortung zu bleiben und erst später für mich zu sorgen. Funktionieren und für andere da sein hatte doch immer eine so große Priorität. Doch es stimmt nicht mehr. Ich zahle einen zu hohen Preis. Und weil ich das aber trotzdem hinkriegen will, damit meine Selbstfürsorge für meine Umgebung möglichst wenig Belastung bedeutet, versuche ich, es irgendwie zu planen und hinzukriegen. Bis dann mein System im August die Notbremse zieht und mich in eine Erschöpfungsdepression schickt. Und dann geht plötzlich gar nichts mehr.
Und erst als ich dann über den Klinik Aufenthalt die Reise in meine innere Fremde antrete, komme ich wieder in Handlungsfähigkeit.
Meine funktionierende Seite hat ein furchtbar schlechtes Gewissen im Hinblick auf die Arbeit und die Verantwortung, die ich dort gerade nicht lebe. Und gleichzeitig freut sich in mir etwas, dass ich mich endlich wichtiger nehme als die anderen.
Doch ich will aus dieser Ambivalenz raus, dass es immer nur ein entweder oder gibt, ich habe einen Fokus auf die anderen, oder ich achte gut auf mich. Das war ja schon in der Paarbeziehungserfahrung in Tansania ein kräftiger Kontrast.
Und die Frage ist, wie und unter welchem Bedingungen kann ich mein Innen und mein Außen gut balancieren? Anforderungen gerecht werden, Grenzen erkennen und setzen, und auf meine inneren zarten und verletzlichen Seiten dabei aufzupassen. Sie nicht dem funktionieren zu opfern. Anzuerkennen dass ich mit meinen feinfühligen und gleichzeitig bunt kreativen Seiten ein besonderer Vogel bin. Der vielleicht auch besondere Umgebungsbedingungen braucht, um gut existieren zu können…
Mir ist in diesem Jahr noch mal sehr klar geworden, dass ich innerlich tief nach Verbindung strebe. Dass ich mich in der Welt gut und sicher fühle, wenn ich mit mir und anderen verbunden sein kann. Wenn die Fülle meiner Gaben fließen darf und auch andere davon was haben. Und natürlich weiß ich, dass nicht jeder nehmen kann was ich zu geben habe. Das ist auch gar nicht so wichtig. Aber ich brauche ein Klima, in dem es grundsätzliches Wohlwollen mir und meinen Fähigkeiten gegenüber gibt.
(3 Wochen später….)
Mir ist klar, dass ich dieses Fließen, mehr Schenken und in Verbindung sein nicht gegen die Selbstfürsorge ausspielen will und kann, dass ich einen Weg finden will, wo ich in Umweltbedingungen existiere, die mir erlauben die Intensität und das Zarte zu leben. Dafür will ich aufhören, dieses Leise und Zarte in mir abzuwerten. Auch wenn es tief verinnerlichte alte Muster aus meinem bisherigen Leben sind, genau das zu tun.
Ich möchte einen inneren Raum erleben, in dem alle Regungen ihren Platz haben und eine Erlaubnis, für eine Weile da zu sein. Damit sie sich dann wieder verwandeln und in etwas neues transformieren…
Und am Anfang dieses neuen Jahres habe ich keine Ahnung, wie das genau geht und was es dafür braucht. Darum hilft mir nur Vertrauen in mein Lebendig sein, in meine Impulse und meine Intuition, Geduld und der Mut, auf das Leben und auf mich zu hören.
We shall see what’s next…