
Ankommen will gelernt sein – eine Welt voller Gegensätze -innen wie außen
Ich glaube, am Sonntag war meine innere Marie Luise ganz schön am schaffen. So gern würde ich die Dinge unter Kontrolle haben, wissen, was kommt und mir so Sicherheit schaffen, das wiederum macht aber innerlich Druck und Unsicherheit.
Diese Woche ist noch keine Uni. Ich hab also eigentlich alle Zeit der Welt, um Kontakte zu knüpfen und anzukommen. Wenn ich mich nicht unter Druck setze, geht das bestimmt besser. Ich muss ja gar nichts. Und weil ich seit Montag abend wieder online bin und hier bei Stromausfall mit meinem Handyhotspot sogar meine erste Hamburger Vorlesung verfolgen konnte – verrückte Welt – kann ich doch ganz entspannt schauen, was passiert (muss das nur Marie Luise nochmal verklickern) Ach so, Marie Luise ist meine innere Macherseite. Eine sehr begabte sprühende extrovertierte Frau, die mit viel Trotzkraft dem Leben die Stirn bietet. Sie macht halt leider dabei alle leiseren Impulse eher platt. Und das ist nicht gut für mich als Gesamtperson.

am zweiten Tag, also Montag war ich irgendwie gelassener. Ich bin vormittags zum Büro und habe Vicky, die Verantwortliche des Gästehauses gesucht. Die war in einer Besprechung, also bin ich ins Café, hab einen Kaffee getrunken und einfach mal ein wenig rumgesessen, weil ich sie nicht bei ihrer Arbeit unterbrechen wollte. Aber gern Geld in den Tresor legen und eben eine SIM card für Daten ins Telefon bekommen. Und so hab ich erstmal anderthalb Stunden (es gibt jede Menge deutscher Bücher und ab und zu einen Plausch mit den Caféfrauen) auf einem bequemen Sessel gesessen und einen John Irving Roman angefangen.
Dann hab ich mal wieder zum büro geschaut, aber immer noch keine Chance, Diesmal hab ich mein Anliegen vorgebracht, und wurde zur Kassiererin verwiesen. Mama Tumaini (das Wort heißt Hoffnung) oder Mama Brian genannt (nach ihrem erstgeborenen Kind) hat dann meine Sachen in den Tresor gebracht und die Ladies haben überlegt, wie ich an meine Karte komme. Es wird bestimmt eine Lösung geben. Pole Pole – mit Sanftheit. ich bin also wieder ins Café und hab mir ein Sandwich bestellt. Das Buch war ja immer noch da. und ich bin erstaunt darüber, wie gelassen ich bin, Letztendlich war es dann nach 14 Uhr, dass Mama Neema (Gnade) zur Bank musste und der Fahrer mich danach zum Handyshop brachte:
Eigentlich nur ums Eck, eine Bude aus einem viertel Überseecontainer zusammengeschweißt mit einem vergitterten Verkaufsraum, in dem nur zwei Menschen und viele Handies und Zubehör des modernen Lebens platz haben, die Kunden bleiben aber vor dem Gitter, da können sich dann schonmal 3 bis 4 Leute drängen um sich für 500sh (20ct) neue Daten fürs Handy zu kaufen. Abends wird eine große Eisentür mit einem Vorhängeschloss davorgemacht. Aber die Bude ist videoüberwacht und es gibt mindestens 3 oder 4 Angebote für Pay Per App, so dass man mit dem Handy bezahlen kann. Ich werde zum Datenmillionär und kaufe für knapp 20 Euro 25 GB… ich will ja streamen und wenn das Stromnetz hier so wackelig bleibt, dann ist das mit dem WLAN in der Unterkunft nicht wirklich eine Alternative…
Irgendwie habeich Geduld für alles und kann mich gut einlassen. Ich glaube, Marie Luise hat das Ruder erstmal wieder abgegeben.
Am späteren Nachmittag hab ich dann noch Michael den Gärtner kennengelernt. Ich hab ihm erzählt, dass in dem Rasen überall kanadisches Berufskraut wächst, invasives Zeug aus Amerika, dass nicht gut gut ist, weil es sich sehr ausbreitet (hab ich im Naturgartenforum gelernt und war sehr erstaunt, es hier genauso wie in meinem eigenen Garten zuhause zu finden)
Am nächsten Morgen ist er dann gekommen und hat mit einer Machete all das blühende Zeug abgesenst. ich habe fast ein schlechtes Gewissen, dass er meine versuchte Weitergabe von Informationen direkt als Auftrag verstanden hat. Ich hab am morgen gerade Tee gemacht und wollte eigentlich frühstücken. Aber ich kann mich ja jetzt nicht mit Brot und Spiegelei auf meine Terrasse setzen, wenn dort jemand arbeitet. Also hab ich erstmal einen Tee für uns beide gekocht und mit dem Gärtner auf der Terrasse Tee getrunken. Ich glaube, das war er nicht gewohnt. Ich hab dann hinterher drinnen mein Frühstück verzehrt, ich konnte mich nicht guten Gewissens mit Brot und Ei und Marmelade auf die Terrasse setzen und was essen. ich merke, das ist schambesetzt. Ich hab ja keine Ahnung, ob er heute schon gegessen hat oder die Tasse Tee seine erste Mahlzeit des Tages ist… und ich will ihn aber auch nicht spontan zum Frühstück einladen, weil ich merke, wie wenig er gewohnt ist, sich mit jemandem wie mir zu unterhalten…
Ich bin hier eine (im wahrsten Sinne des Wortes riesige) Projektionsfläche für Menschen. Die Vorurteile sind in der Regel positiv. Auf dem Rückweg vom Handyladen (der Chauffeur musste plötzlich weg und ich sagte, ich schaff den Weg auch zu Fuss) sagt mir ein Schulkind (vielleicht 12 oder so) auf der Strasse: Mzungu, nipe pesa! Weisser Mensch, gib mir Geld!
Ich hab auf Suaheli zurück gefragt wofür ich ihm Geld geben soll, da hat er verlegen gelächelt und ist weitergegangen. Doch auch ein alter Mann kommt sehr gezielt auf die Handybude zu, doch der Fahrer hat mit ihm gesprochen. Oder am Sonntag die uralte gebeugte Oma an der Tür zum Supermarkt. Die sagt nichts, die guckt nur. Und was tue ich? Nichts? Oder drück ich ihr was in die Hand? Und was ist dann angemessen und was ist ein Almosen, das eine Beleidigung ist?
Und natürlich haben auch all die Leute hier im Zentrum ihre Gedanken und Eindrücke, wenn sie mir begegnen. Und jede und jeder hat vielleicht auch eigene Ziele… ich bin sehr gespannt, wie ich mich dazu verhalten werde, jeden Tag neu. Und wann ich mich nach anderen Weißnasen sehne, um nicht mehr herauszustechen…