Carmi traut sich in die Stadt – pures Leben in allen Schattierungen

Carmi traut sich in die Stadt – pures Leben in allen Schattierungen

20. Oktober 2023 0 Von Carmikahindo

Ich wohne ja in Usa River, das ist ein kleiner Ort zwischen den beiden Städten Arusha und Moshi, das ist ein eher ländlicher Bereich. Arusha ist in den letzten Jahren auf fast 600000 Einwohner gewachsen. Ich bin sehr gespannt, wie dort die Moderne und der afrikanische Alltag aufeinandertreffen, denke an Städte in Südafrika, wo weiße und schwarze Welt teilweise sehr getrennt sind. Immerhin ist Arusha die Hauptstadt des tansanischen Safari-Tourismus und soll wohl in Anlehnung an die wichtige Hafenstadt Dar es Salaam auch schon mal „Dar es Safari“ genannt werden. Eins vorweg:  Es ist eine brodelnde  lebendige afrikanische Stadt. Ich will  einen ersten Eindruck gewinnen und fahre mit dem Costa Bus (der ist eine Nummer größer als die vollgestopften Kleinbusse namens Dala Dala und hält unterwegs nicht so oft, außerdem ist er nicht ganz so voll) Ich stelle mich vor dem Zentrum an die Hauptstraße und winke, bis einer hält. Für 1000 Shilling, ca. 40ct. Werde ich ins Zentrum der Stadt, ca. 20km entfernt gebracht, mit vielen anderen Menschen und Kartons und lauter frommer Musik.

im kessel brodelnden Lebens

Dort lande ich am Busbahnhof mitten drin. Es ist schon ganz schön überwältigend. Gerüche nach Mensch, nach Essen und anderen Dingen, Gewusel und überall Menschen, die mir irgendwas verkaufen wollen oder einfach nur grüßen. Meine innere Macherin hat Bock auf sowas, die läuft mit Mut durch diese ganz engen Gänge im Soko kuu, dem zentralen Markt. Sie und grüßt mal hier und wehrt mal hier ab. Aber es ist gleichzeitig auch wirklich „overpowering“ und ich gerate schon in Habachtstellung:  wer will mich über das Ohr hauen, wer will nur mal kurz Kontakt und wer ist mir wirklich wohl gesonnen? Ich rüste mich  mit einem mutigen Auftreten. kaufe einen Trichter bei einer alten Frau, damit ich mein abgekochtes Wasser leichter in die Plastikflasche kriege. Doch es ist eng, laut und riecht seltsam. hier kann ich Kartons aus Tchechiien kaufen, dort getrocknete Minifische, dort liegen nackte hühner und warten auf Kundschaft. jeder spricht mich an und will, dass ich bei ihm oder ihr kaufe. Ich frage eine Obstverkäuferin, wo es denn die schönen bunten stoffe gibt. Sie lässt ihre Schale mit Kartoffeln bei ihrer Nachbarin und führt mich entschlossen über die Strasse zu einem Laden. Dort gibt es wirklich viele Stoffe zum gucken. Da ich vorher die Preise erfragt habe, werde ich nicht übers Ohr gehauen. Doch dann merke cih, wie mir das alles zuviel wird und ich frage, wo es Orte gibt, wo die Wazungu sind. Man erklärt mir, wo die Supermärkte in der Stadt sind. Ich überlege kurz und da ich mich überhaupt nicht auskenne, nehme ich vom Stoffladen zum Supermarkt zum ersten mal ein piki piki. Ein Motorrad, das man auch mit 2 Passagieren und einem riesigen Gepäckstück (wahlweise ein Sack Karotten, ein Fahrrad oder 2 Kinder) beladen sehen kann. Natürlich ohne Helm oder sonstigen Schutz, aber die Geschwindigkeiten innerhalb der Stadt sind ja nicht so groß.

Supermarktsicherheit

Dort schaue ich genau hin und tauche ein in die beruhigende Vertrautheit von Regalen mit Waren, auch wenn die Waren andere sind. Doch so kaufe ich Dinge, die mir helfen, mich gut zu fühlen. Dazu gehört seltsamerweise Majoran und ein Stabmixer. Und ein wenig Wurst. Ich merke, dass es echt tief in mir steckt, mich über Essen zu regulieren. Und gleichzeitig passe ich mich an die Gegebenheiten an. Doch auch wenn ich bedauere, dass ich noch keinen Ugali Maisbrei gegessen habe, bin ich froh, dass ich mir Reis und Nudeln kaufen kann. Auf dem Rückweg vom Supermarkt zum Busbahnhof wähle ich ein Tuktuk, so eine dreirädrige Motorriksha. Ein bißchen mehr Blech zwischen mir und den Autos und Menschen da draußen ist auch ganz nett.

Geduldsspiele und Wahrheiten

im Bus, Fotos machen ist immer schwierig, wenn man die Leute nicht fragen kann.

Als ich im Costa Bus sitze (der Busschaffner hat einen jungen Mann und seinen Bauchladen nach hinten geschickt, damit ich ganz vorn sitzen kann) ist der noch kaum halb voll. Und so sitzen wir. Bis er voll ist. Und das dauert fast ein Stündchen. Ich habe kaum Platz für meine Füße. Und entscheide, ich zahle für zwei Plätze und setze mich quer, damit mir die Füße nicht einschlafen. Die Leute sind höflich, freundlich, ein wenig neugierig. Und erstaunt über die Mzungu (Weißnase), die ihre Sprache spricht und Offensichtliches so ohne Scheu ausspricht (ich kaufe zwei Sitze für meinen dicken Hintern). Ich tue  und ich kann das, weil es die Wahrheit ist und ohne Bewertung und weil ich bei den Zuhörern eher ein zustimmendes Nicken erwarte als Abwertung, weil ich so eine dicke Frau bin. Denn dick heißt hier,  es geht Dir gut, Dein Mann sorgt gut für Dich, Du musst nicht viel zu Fuß gehen (wobei ich hier auch zu Fuß viele ganz schön dicke Frauen gesehen hab) Mein großer Lipödem-Hintern ist hier in guter Gesellschaft, viele Frauen haben ausgeprägte Hinterteile. Mich dafür nicht selbst zu entwerten, sondern mich durch die Augen von Menschen zu sehen, die Hinterteile als Schönheitsideal schätzen, hat auch schon in meinem ersten Afrikaaufenthalt viel dazu beigetragen, dass ich mich selbst als weiblich und als ansehnlich sehen kann. Als wir endlich losfahren, bin ich froh und steige vor dem Zentrum wieder aus.

natürlich ist auch vor der ersten Reihe noch Platz für 4 Mitfahrende, eine Mutter mit Kind auf dem regulären Sitz und zwei auf dem Polster über dem Motorblock...
Natürlich ist auch vor der ersten Reihe noch Platz für 4 Mitfahrende, eine Mutter mit Kind auf dem regulären Sitz und zwei auf dem Polster über dem Motorblock… 😉

Ich mache bisher gute Erfahrungen mit meinen Sitznachbarinnen im Bus, die freundlich kurz ein wenig smalltalk machen, ein wenig mit mir und ein wenig über mich lachen (in einer verbundenen Weise) und den Menschen, die mir begegnen. Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist und bin dadurch vermutlich viel offener und direkter, als das hier immer gut ist.  Obwohl ich viel weniger gemacht habe, als ich ursprünglich gedacht habe, fühle ich mich ganz schön platt. Die Eindrücke wollen erstmal verarbeitet werden. Und heute abend gibt es Reis mit frischen Erbsen vom großen Markt in Arusha.

Kleinerprinzgedanken

Ich stoppe nochmal kurz im Tanz Hands Café. Ich freue mich an den Kochfrauen im Café, die immer freundlich lachen, wenn sie mich sehen. Sie freuen sich, dass ich mir ihre Namen merke und wir plaudern ein wenig… über das Wetter, meine Erlebnisse in der Stadt und gemeinsam lachen wir über meine Strategie, zwei Plätze für mich und meinen Hintern zu kaufen. ich bin wie der kleine Prinz, der versucht, den Fuchs zu zähmen, indem ich mich zeige und aussetze. Das, was in mir schnell Dinge erfasst und schnell ungeduldig wird, muss ich immer wieder daran erinnern, dass vieles erstmal Zeit braucht. Auch, dass Leute mich ein wenig kennen lernen und einschätzen. Über die kulturelle Barriere hinweg, die ja auch jede Menge Konstrukte mitbringt, wie ein anderer Mensch gesehen wird. Und ich glaube, ich bin ein guter Vorurteilsunterbrecher, weil ich in vielerlei Dingen nicht typisch so oder so bin. Ich bin sehr deutsch in mancher Hinsicht, und in anderer überhaupt nicht. Ich packe meine rheinische Seite hier aus und komme über dieses freundliche mit jedem Reden erstmal an der Oberfläche in Kontakt. Mal schauen, mit wem sich etwas vertiefen kann.