
Maisha ni vile – so ist das Leben, oder einfach ganz viel auf einmal …
Ich komme gar nicht hinterher, all das was ich erlebe irgendwie aufzuschreiben und zu dokumentieren, es ist so viel in so kurzer Zeit. Begegnungen, Erlebnisse, Reflektionen, so viel was ist sehe und in mich aufnehme, so viel was ich selbst wünsche, was dann wieder enttäuscht wird oder einfach vom Leben über den Haufen geworfen, und in allem der Versuch, offen zu bleiben für das, was das Leben mir serviert und als Aufgabe gibt.
Nur ein paar Stichworte, was allein in den letzten 3 Tagen los war:
- ein Besuch zum Tee am Samstagnachmittag – Giveness, die „Gebung“n oder vielleicht „Gabe“ ein schöner Name für die quirlige moderne junge Frau, mit ihren 32 Jahren und ihren Träumen, irgendwann mal in Uzunguni, im Land der Weißnasen, gern in Deutschland zu arbeiten. Sie hat viele europäische Freunde und sucht nach einem unabhängigen Leben als Frau, möchte die Welt entdecken und über sich hinauswachsen. Keine Ahnung, ob sie damit bereit ist, wirklich in Europa klar zu kommen, wo die ostafrikanische Community klein ist und man erstmal warm werden muss mit unserer europäischen Mentalität. Denn die Europäer, die sich nach Afrika aufmachen, sind ja kein Maßstab. Es gibt ja jede Menge Fremdenangst und Berührungsängste, gerade in Deutschland. Vor allem da, wo man Fremde vor allem als Bedrohung sieht, eigentlich kaum Berührungspunkte hat ( wie denn auch, wenn man so Angst davor hat) und nicht als Menschen erlebt, die manches vielleicht anders machen, aber genauso viel wert sind und genauso lachen und weinen wie man selbst. Nach unserem ersten Kontakt treffen wir uns am Samstag tatsächlich zum Tee auf meiner Terrasse und kommen in ein durchaus intensives Gespräch. Ich frage sie, ob sie schon mal da war und bitte sie, sich das mit Europa gut zu überlegen und einen guten, sicheren Rahmen zu suchen, um dort zu leben, vielleicht zu studieren oder auch eine Weile zu arbeiten. Zum Beispiel über die VEM (www.vemission.org), weil dort interkulturell erfahrene Menschen arbeiten, es Stipendienprogramme gibt und auch immer wieder Jobs in der kontinentüberspannenden Gemeinschaft von Kirchen in 3 Erdteilen. Ich fände es traurig, wenn sie in Deutschland oder Europa allgemein unschöne Erfahrungen mit den Vorurteilen und Alltagsrassismen der Menschen machen muss, ohne dass das irgendwie gut begleitet geschieht. Denn das ist ja ein Hauptunterschied. Auch die Afrikaner haben jede Menge Vorurteile und Einschätzungen über die Wazungu. Aber die sind meistens eher so, dass sie uns viel zu viel zutrauen und sich selbst dabei abwerten. Diese Vorurteile sind auch nicht leicht auszuhalten, weil sie immer wieder fordern, wie gestern die Frauen im Bus, die direkt meinten, ich solle ihnen Geld geben, weil immer erwartet wird, dass Weiße davon im Überfluss haben. Haben wir ja auch im Vergleich, aber die Menschen können sich halt auch das Leben in unserem Kontext überhaupt nicht vorstellen… Die Vorurteile Weiß gegenüber Schwarz sind demgegenüber bei den meisten Menschen von Mißtrauen und Abwertung geprägt. (oder von folkloristischen Generalisierungen, klar können alle Afrikaner singen und trommeln 😉)

- Ein doppelter Gottesdienstbesuch, diesmal tatsächlich pünktlich um 7 hier im Zentrum und um 10 im Unigottesdienst auf dem Campus. Total unterschiedlich in der Energie und allein in der Dauer (2 ½ Stunden mit anschließender Hühner- und Bananenversteigerung hier und 1 Stunde 20 auf dem Campus, nicht voll, leise mit einer einzelnen Trompete als Begleitung, es ist eben noch nicht Semester) Die Predigten auch ganz unterschiedlich; theaterreifes Rumkrawallen, über 45min, die wieder ganz schön an die Ohren gingen, von einem Evangelisten, der hauptsächlich immer wieder klar machte, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist hier und auf dem Campus leise Lehre über Moses und den brennenden Dornbusch, geboten von einer Uni-Professorin. Doch ich frage mich bei beiden, ob ich nur wegen der mangelnden Suahelikenntnisse das Evangelium darin nicht so recht erkenne oder ob es einfach schwierig war, es in beiden Arten zu finden.
Ich frag mich, ob und was die Menschen hier in ihren Ängsten und Sehnsüchten trifft, sie tröstet und ermutigt für den nächsten Moment ihres Lebens. Vielleicht bin ich aber auch nur von meiner eigenen Art, hoffentlich seelsorglich zu predigen, so eingenommen, dass ich das andere nicht wirklich würdigen kann…

Ich schaue die Gottesdienstbesucher an und frag mich, erreicht das die Leute wirklich? Brauchen sie die große Redundanz, weil sie sonst nicht verstehen, was die Leute Gottes ihnen sagen wollen? Brauchen sie die starken Impulse des Evangelisten, der wirklich gut in Kontakt mit seinen Zuhörenden ist, immer wieder Lacher und Zustimmung erntet, aber eigentlich immer wieder die gleichen Sätze in die Köpfe hämmert (mit viel Lautsprecherverstärkung) Wäre meine Art zu predigen hier fehl am Platz? Oder traut diese Form der Homiletik den Menschen zu, dass sie ihre Antworten zwischen meinen Fragen und den kleinen Impulsen finden, die ich aus den Geschichten der Bibel und des Lebens einzuweben versuche…
Der Ortspastor und Zentrumsdirektor hat mich jedenfalls vorgestellt bei der Begrüßung der Gäste und hat allen gesagt, dass ich Seelsorgerin bin, und dass sie sich gern am mich wenden können, wenn sie Counseling/Seelsorge suchen. Ich habe die Frau von voriger Woche wieder gesehen, die die emotional aufgelösten Jugendlichen getröstet hat und ihr genau das gesagt. Sie hat sich gefreut, Mama Hosianna, wenn ich sie recht verstanden habe. Eine erste Seelsorgeanfrage kam jedenfalls schon, mal schauen, ob daraus dann auch ein Gespräch wird.
Ich bin direkt nach der Hühnerversteigerung mit einem Pikipiki Motorradtaxi zum Campus zum zweiten Gottesdienst und bin sogar ein paar Minuten zu früh da. Eine freundliche Frau teilt ihr Gesangbuch mit mir, bei einem Lied erkenne ich die Melodie und kann aus ganzem Herzen auch die fremden Worte mitsingen. Die einzelne Trompete des Dozenten für Musik trägt die singende Gemeinde. Ich bin gespannt, wie sich die Atmosphäre im Campusgottesdienst verändert, wenn die Studis wieder da sind. Ich habe jetzt bei den Campuswärtern schon einen „kenne ich schon“ Bonus und darf mit dem Motorrad bis zur Kirche. Es ist immer wichtig, sich mit diesen Menschen zu verstehen, den Torwächtern an Eingangstoren und vor Entscheidungsträgerbüros. Dort sitzt ja ganz viel Macht darüber, ob man weiter kommt oder eben nicht.

- Nach einer Pause am Sonntag Mittag bin ich nachmittags zu meinem ersten eigenständigen Ausflug aufgebrochen und wollte in der Arumeru River Lodge (so anderthalb Kilometer von hier) an den Pool. An der Hauptstrasse lang in der prallen Sonne und dann irgendwann eine Dreckstrasse, die sich durch riesige Bäume windet. Und dann eine hübsche Steinmauer und ein großes Tor, Dahinter wieder ein anderes Afrika. Hier nächtigen Safari Touristen für ein oder zwei Nächte und 230$ die Nacht in hübschen Bungalows in einem herrlichen Garten mit großen Bäumen und Bambushorsten, einem schicken Restaurant und freilaufenden DikDik Antilopen und Äffchen. Auch das ein Aspekt. Tourismus, der sehr schöne Ruhe und Abgeschiedenheit für betuchte Europäer schafft. Ein Afrika wie aus dem Bilderbuch, nur ohne die Menschen, die Gerüche und die Fülle von Lebensgeschichten zwischen Träumen von Reichtum und nackten Überlebenskampf…
Ich frage nach, ob ich den Pool auch als Tagesbesucher nutzen kann. Prinzipiell ja, aber heute nicht, da er gerade gewartet wird. Hotelbesucher dürfen allerdings rein. Vermutlich tut das Chlorzeug den weißen Touristen nichts. 😊
Also setze ich mich auf die Terrasse, trinke ein Tonic, dass 5mal so viel kostet wie im Tanz Hands und freue mich an der Natur und schönen Umgebung. Am Nachbartisch sitzt ein afrikanisches Pärchen und trinkt frisch gepressten Saft. Vermutlich ein Ausflug in eine andere Vorstellung von Leben, oder eben ganz reiche Tansanier, die sich sowas problemlos leisten können. (also die 3 Dollar für den Saft, keine Ahnung ob auch die Zimmerpreise)
Eine Mini Antilope läuft vorbei. Am Pool sitzt eine Familie mit Teenagern, vermutlich Franzosen. Leider kommen auch hier so gegen Spätnachmittag die Tagsübermücken. Ich bin sicher, ich hab schon eine Asiatische Tigermücke oder zwei erschlagen, die gemeinerweise tagsüber und durch die Klamotten stechen… ich entscheide mich also gegen ein eher teures Abendessen (Hauptgericht ca. 15 $) und für den Rückweg. Der Torwächter zeigt mir auf Betreiben des Rezeptionsmitarbeiters (ach diese Torwächter!) eine Abkürzung zurück, über das Gelände der benachbarten Sekundarschule. Er begleitet mich ein Stück und weist mir den weiteren Weg, der sich an einem Fußballplatz vorbei und dann durch das Schulgelände mit Internat schlängelt. Die Schüler begrüßen mich meist ehrerbietungsvoll mit Shikamoo, ein Gruß aus alter Zeit, der wohl noch aus Sklavenhalterzeiten stammt und übersetzt soviel wie „ich umfasse Deine Füße“ bedeutet, worauf man mit „Marahaba“ antwortet, „nur ein halbes mal“. Mir ist das immer unangenehm. Entweder ehren sie mich so, weil ich weiß bin oder weil ich alt bin… Beides nicht so schön. Aber ich antworte entsprechend. Und als zwei junge Mädchen (vielleicht 14 oder 15) an mir vorbei gehen und mich fragen, ob ich ihnen ein klein wenig helfen könne (-die höfliche Variante von „Hasse ma ne Maark“) frage ich sie, ob sie das für eine gute Gewohnheit halten, einen wildfremden Menschen im Vorbeigehen anzubetteln… sie lachen verlegen und wir gehen unserer Wege.
In der Ferne wohnen Marabouvögel auf einem Baum, auf einem anderen flattert und kreischt die Webervögelkolonie… ich erreiche die Strasse wieder und bin nach ein paar Minuten daheim.
- Montag dann die Antwort auf die Frage, wie das wohl wird mit mir und der Uni. Ich bin inzwischen so innerlich eingestellt, dass ich stärker die Freiheit sehe, die ich habe, wenn ich nur ein kurzzeitiger Gast bin, als wenn ich wirklich jeden Tag auf den Campus gehe. Und das gibt mir die Freiheit, auch der Dean gegenüber nicht zu sehr mich abhängig zu machen. Ich treffe sie, als sie für mich aus einem Meeting rausgeht, um mein Anliegen zu besprechen. Es wird klar, auch für 6-9 Wochen Besuch einiger Veranstaltungen würde die Uni Unmengen an Bürokratie verlangen. Kopien meiner Abschlüsse, einen Empfehlungsbrief meiner Kirche oder der VEM als Partnerorganisation… hätte mir das irgend jemand vorher auf meine diversen Mails geantwortet, hätte ich das alles besorgen können und wollen. Doch jetzt merke ich, dass ich auf diesen formalen Kram gar keinen Bock habe. Am ersten Tag des neuen Semesters tragen die Studis alle „smarte“ Klamotten. Die Jurastudenten Anzughose und weißes Hemd mit Schlips und teilweise Jackett, die Damen Bluse und Rock. Uniform statt buntes Leben. Auch die Theolog*innen sind alle eher schick. Ich fühle mich nicht so richtig wohl, und erst recht nicht, als würde ich hier reinpassen.
Die Dean sagt mir aber auch, wenn ich in einzelnen Kursen von den Dozenten als Gast empfangen würde, könnte ich in diesen Kursen einmal oder zweimal zu Besuch sein. Und da es mir ja nicht um das Studium an sich geht, sondern mehr um die Begegnungen und Eindrücke, greife ich dankbar zu. Seit gestern gibt es auch einen Stundenplan für die Theologen, den ich letzte Woche so vergeblich auf der Website gesucht hat. Wir machen ab, dass ich mir bei der Dekanatssekretärin (Mama Neema, wieder ein guter Kontakt) einen Stundenplan abhole und dann schaue, was zeitlich zu meinen Univeranstaltungen in Hamburg passt. Mrs Olotu fragt dann die Dozenten, ob und wann ich mal eine Stippvisite in diesem oder jenem Kurs machen darf. Ich bin damit sehr zufrieden. Ich kann in viele Bereiche hineinschnuppern, kriege Kontakte zu den Lehrenden und den Studies aller Jahre. Ich bin sicher, daraus werden sich spannende Gespräche und Begegnungen ergeben. Und vielleicht auch Diskussionen, über die Fragen, die mich wirklich interessieren, die mehr mit dem Leben als mit der Wissenschaft zu tun haben. Damit bleibt mir dann Zeit, auch in andere Bereiche hineinzuschnuppern. Es gibt wohl in Moshi ein Institut zur Seelsorgeausbildung. Vielleicht kann ich auch da mal einen Besuch machen. Mama Neema zeigt mir dankenswerterweise auch die Bibliothek und stellt mich der Bibliothekarin als werte Besucherin vor, der sie gern Zugang gewähren soll (auch zu den PCs und dem WiFi, das bei Stromausfall per Generator weiter funktioniert…. ) ich sag doch, ein Lob auf die Torwächter und Sekretär*innen dieser Welt.