Mtoto ya Mungu na Mtoto ya Kijiji – Gotteskind und Dorfkind

Mtoto ya Mungu na Mtoto ya Kijiji – Gotteskind und Dorfkind

2. November 2023 1 Von Carmikahindo

01.11.2023

Ich bin ganz erfüllt von den Erlebnissen der letzten Tage. Mir scheint, der liebe Gott und das Leben schicken mir immer wieder Begegnungen, die mich stärken und erfüllen, ohne dass ich danach suchen müsste.
Ich übe, einfach nur hier zu sein. Und bei allen sprudelnden Ideen und Kochplänen in meinem Kopf nix wirklich zu wollen oder so zu planen, wie ich das gern hätte. Stattdessen einfach (ha) Angebote zu machen und zu schauen, was sich dann daraus ergibt.


Wie isset? Joot!

Und es kann sich einfach so etwas neues ergeben, z. B. während ich mich auf den Weg zum Supermarkt mache… Montag ist das so gewesen. ich will noch ein paar Zutaten kaufen für weitere Kochversuche. Noch auf dem Gelände begrüßt mich eine Frau. Und da ich vom Dorf komme, grüße ich freundlich zurück. Das ist sehr tansanisch. Man grüßt einander ständig, freundlich, fragt, wie es geht und erwartet eine freundliche und höfliche Antwort nach dem Motto, wie isset? Joot. Aber es ist auch ok, dann zu sagen, wie es wirklich geht und mir nichts dir nichts in ein tieferes Gespräch zu rutschen, wie letzte Woche, als ich Kummer hatte und mich etwas abgeschnitten von Olli fühlte.
AD Hoc Seelsorge
Da war ich nah an den Tränen. Und saß draußen und habe mir eine berührende Patenkindsprachnachricht angehört, die die Tränen freigelassen hat. Und dann kam Baba Simon, der Verantwortliche für die Behandlung der Klumpfüße. Er wollte mich ganz freundlich begrüßen. Und weil ich mich mit meiner Traurigkeit gezeigt habe, hatten wir ein tiefes berührendes Gespräch, wo er mir zum Seelsorger wurde und mir auch von seinen Lebensherausforderungen erzählt hat, und wie er sie immer wieder ins Gebet nimmt, weil er weder für sein behindertes Kind noch für seinen verletzten Bruder gerade so viel tun und regeln kann, wie er gern würde. Es bleibt nur, sie immer wieder in Gottes Hand zu legen, sagt er. Und ich spüre, wie mich das in meiner Traurigkeit tröstet, weil es ja bedeutet, die Schwierigkeiten und den Schmerz zu leben und das Vertrauen hochzuhalten, dass es Wege geben wird, auch wenn ich sie nicht planen oder kontrollieren kann. Siyo rahisi – das ist wahrhaftig nicht leicht.

Auftragsklärung

Aber zurück zu Mama Margret, so heißt meine Montagswegbegleitung. Wir stehen also miteinander auf der Straße im Zentrum und sie fragt mich, wie es geht und was ich so mache. Ich sage, ich hab ja glücklicherweise gerade gar nicht so viel Arbeit, die Uni ist weiter still, meine Kurse in Hamburg sind überschaubar, das mit dem Kochen zeigt sich jeden Tag ein bißchen. Ich bin frei und ich bin da. Und rede mit Leuten und so.
Da fragt sie mich – sie hat ja in der Kirche gehört, dass der Direktor mich als Seelsorgerin vorgestellt hat – ob ich denn mit Leuten auch Seelsorgegespräche machen würde. Ihrem Mann läge schon länger was auf dem Herzen und er bräuchte mal ein Gespräch. Ich erkläre grundsätzlich meine Bereitschaft, sage ihr aber auch, dass das natürlich ihr Mann wollen muss. „sollen wir zu ihm gehen? Er ist Lehrer hier im Zentrum“
Also gut, ich hab zwar meine Einkaufstaschen dabei, aber wir können ja einen kleinen Umweg machen und schauen, ob ihr Mann auch mit mir reden will. Wir landen im Büro der Lehrkräfte für Schneiderei. Dort sitzt R. dem ich schon begegnet bin. Er ist körperbehindert, ein ganz kleiner Mann und er hatte mir auch schonmal in einer anderen Situation angedeutet, dass es ihm gerade nicht gut geht.
Seine Frau schleppt mich also zu ihm und sagt, er könne ja mal mit mir reden. Wegen seinem schweren Herzen. Und er meint, ja das wär vielleicht eine gute Idee.
Ich will ja immer noch einkaufen, also verabreden wir, dass ich, wenn ich mein Zeug besorgt und verstaut habe, nochmal wiederkomme und wir schauen, ob es dann passt, oder wir uns für später verabreden.
So machen wir es dann auch. Nach einer kurzen Verspätung, weil ich meinen ersten Pizzateig ansetze, damit ich abends mit den Ladies was ausprobieren kann, treffen wir uns wieder und entscheiden uns, gemeinsam ins Café zu gehen. Und da reden wir, er erzählt, ich höre zu, ich frage nach, ich stelle ihm Hypothesen zur Verfügung. Und ich finde auch im Kiswahili Worte. Worte die ihn sichtlich erreichen und ihm gut tun. Die ein paar Tränen aufsteigen lassen. Und es sind einfache Worte. Es fällt mir hier auch leichter, Gott ins Gespräch zu bringen. Und vom Vertrauen in Gott und das Leben zu sprechen, weil es hier eine Sprache ist, die jeder spricht.


Religiös und planungsresistent

Und weil ich bisher noch keinen Menschen getroffen habe, der nicht in irgend einer Form an Gott glaubt. Irgendwie sind die Menschen hier auf eine andere Weise als wir Europäer mit unserer Liebe zur Wissenschaft und unserem Glauben an das rationale Denken zutiefst angebunden (religio- bedeutet ja im Wortsinn „sich verbinden oder anbinden“) und somit religiös. Nicht jeder lebt das zutiefst, bestimmt gibt es Menschen, die sich von religiösen Veranstaltungen auch fernhalten, aber auch die würden in der Regel wohl nicht bestreiten, dass es Gott gibt. Egal wie sie ihn nennen oder verehren.
Meine Hypothese dazu ist, dass die Verbundenheit der Menschen untereinander und ihre Angewiesenheit aufeinander ihnen immer wieder klar macht, dass Leben ohne Verbindung nicht geht. Dass das Leben so groß und herausfordernd ist und es so viel gibt, worüber ich überhaupt keine Kontrolle habe, sei es Krankheit, sei es die Stromversorgung, sei es ein schon gefasster Plan, dass es etwas braucht, um mit dem vielen Unvorhergesehenen des Lebens umzugehen. Und das ist Vertrauen. In Gott, ins Leben, in andere Menschen. Und darum leben sie so radikal im Moment (und sind so planungsallergisch, was meine deutsche Seite manchmal echt nervt, die es gern klar hätte) und räumen dem unvorhergesehenen, was jetzt passiert, Vorrang ein vor den Ideen darüber, wie es sein sollte. Jetzt kommt jemand vorbei und braucht Aufmerksamkeit. Und die wird ihm geschenkt, auch wenn ein anderer dann warten muss. Basta. Jetzt.
Und vielleicht ist mein Wort „planungsallergisch“ schon eine ganz schöne Abwertung dieser Haltung, die viel mehr über meine Unfähigkeit aussagt, es im Hier und jetzt wirklich ohne vorausgaloppierende Gedanken und Wünsche auszuhalten, als über diese riesige Ressource meiner afrikanischen Gesprächspartner*innen. Denn ich vermute, ohne diese Bereitschaft, sich in jedem Moment hier und jetzt dem Leben zu stellen, würden die Menschen verrückt vor Unsicherheit. Vielleicht sind sie ja vielmehr resistent und resilient vor den Verführungen von Planungen. Denn die schaffen ja diesen Unterschied zwischen dem, was gerade ist und dem, was sein sollte, an dem wir so oft leiden oder scheitern. Und ich geh sogar noch einen Schritt weiter, vielleicht ist unsere europäische große Individualität und Freiheit oft mit dem Preis verbunden, sich in dieser Un-Abhängigkeit von anderen auch aus der Verbundenheit zu verabschieden. Und vielleicht ist der Preis davon wiederum die wachsende Einsamkeit von Menschen bei uns, die sich abgeschnitten fühlen von sich selbst und vom Leben.


Kleine Weissnasen -Selbsterkenntnis

Dann wird mir die Jesusgeschichte vom barmherzigen Samariter, bzw. denen, die aufgrund ihrer Stellung und ihren Plänen sich nicht anrühren lassen vom Schmerz des unter die Räuber gefallenen zum Spiegel dafür, wie ich das Mitgefühl und das „Nächster sein“ hintanstelle, weil ich ja über etwas größeres und erstrebenswerteres nachdenke. Wie der Priester und der Levit. ich hab Pläne, ich hab einen Status oder eine Ruf zu verlieren… Und klar ist, dass ich so ticke und wir als ganze Kultur, hat zu großen Errungenschaften geführt. Wir sind gut im Denken und Planen und gerade in Deutschland im Tüfteln und ganz genau hinschauen. eine Stärke der Ingenieure und der Denker und Dichter und der vielen Menschen, die etwas neues erschaffen oder etwas gegebenes verbessern. Eine Seite in mir glaubt ja immer noch, dass wir diese Fähigkeit evolutionsbiologisch hauptsächlich entwickeln mussten, um bei wechselnden Jahreszeiten und weniger Möglichkeiten, Nahrung zu finden im Winter was erfinden mussten, um in den kalten Monaten zu überleben. Wer nicht plant, erfriert und verhungert. Alles kontextabhängig. Und natürlich nicht generalisierbar, weil es hier ebenfalls total fähige Tüftler gibt und bei uns genauso viele Benutzer von Dingen, die gar keinen Plan haben, wie etwas funktioniert. Es sind vielleicht eher kulturelle Einladungen, welche Fähigkeiten besonders gefördert und geschätzt werden. Und dann werden die unterschiedlich gelebt.
Hier in diesem Kontext immerwährender Wärme und 3 bis 4 Ernten im Jahr, braucht es viel weniger kleinschrittige Planung. Es ist ok, wenn ich dann doch erst morgen säe, weil heute jemand vorbei kommt, der was von mir will. Die Regenzeit sollte ich nutzen. Aber auch die wird unberechenbarer durch den Klimawandel. Und wenn das Auto nach Malambo erst Samstag fährt, und nicht schon Freitag, wie zunächst gedacht, weil irgendwas dazwischenkommt, ist das auch kein Problem. Sondern eine Tatsache. Mit der man dann umgeht, wenn sie eintrifft. Das bringt natürlich auch jede Menge neue Herausforderungen mit sich. Vor allem, wenn im modernen Leben andere Anforderungen entstehen, bei der unterschiedliche Bedürfnisse oder auch Vorstellungen irgendwie koordiniert werden wollen. Vor allem, weil ja heutzutage hier z.b. über die Telefone (jeder hat eins oer will eins haben, am liebsten ein Smartphone für den Anschluss an die ganze Welt) nun auch andere Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, und man überhaupt ein bisschen planen kann, ohne bei jemandem vorbei zu gehen.

Wie spannend wäre es, wenn wir westlichen Weissnasen von dieser Haltung zum Leben lernen wollen würden und sie nicht nur aus einer Defizitperspektive leise belächelten? Und in welcher Sprache müsste man bei uns davon sprechen, um bei Menschen sprachfähig zu sein,

die die Verbindung zu Gott (und manchmal auch zu ihrer eigenen Lebendigkeit) längst verloren haben. Und denen nur die Sehnsucht danach bleibt. Ich denke an viele unserer regelmäßigen Anrufenden in der TS, die so viel Hunger nach Leben haben und doch sich so selten wirklich vom Leben nähren lassen können. Weil so viele Gedanken und Urteile über sich selbst und das Leben und die anderen den Weg dahin versperren.


Und dann das Ganze noch systemisch konstruktivistisch betrachtet….

Und wenn ich das aus einer systemisch-konstruktivistischen Perspektive ohne Bewertungsabsicht anschaue, dann ist es vielleicht so., dass die Rede von Gott als demjenigen, der das Leben schenkt und dem ich verbunden bleiben muss/will, um nicht aus der Lebendigkeit zu fallen und die Verbindung zu Jesus, als demjenigen, der genau diese Verbindung zu Gott in aller Liebe und Lebendigkeit gelebt hat, eine Kodierung ist, die den Fokus immer wieder auf diesen Wert der Verbindung und Verbundenheit lenkt. Darum gehen die Leute in die Kirche und lassen sich durch diese Veranstaltung immer wieder erinnern und ausrichten, weil sie ja auch nicht die besseren Menschen sind, sondern genau wie wir Westler manchmal lieber hätten, dass das Leben nach ihrem eigenen Plan verläuft. Und auch Dinge tun (möchten) die andere verletzen und dadurch zu Schuld oder Scham führen und aus der Verbundenheit heraus. Also gehen sie in den Gottesdienst, um sich erinnern zu lassen, um sich immer wieder neu anzubinden an die Kraft, der sie sich und ihre Lebendigkeit verdanken. Total klug.


Und weil die Menschen diesen Code kennen und benutzen, habe ich als Seelsorgerin hier eine Sprache zur Verfügung, um mit den Geschichten aus der Bibel und den Erzählungen darüber, wie Leben gefährdet und erfüllt wird, die Menschen in ihren Herzen zu erreichen. Zumindest ist mir das im Gespräch mit R. gelungen. Ihm auf meine Weise zuzusprechen, dass er schon so viel überlebt und überstanden hat. Und dass es gemein wäre, wenn er sich jetzt abwerten würde, weil er nicht weiß, wie er mit seinen Schwierigkeiten jetzt umgehen soll. Sondern dass er in all dem ein geliebtes Gotteskind bleibt. Und dass nach meiner Vorstellung Gott nicht Leiden verteilt, weil er mal schauen will, wie wir kleinen Laborratten damit umgehen, sondern weil er durch seine Erfahrungen in Jesus mit allem was Menschen ausmacht, genau weiß, wie schwierig das Leben ist. Und mitleidet. und liebt. Und sich hingibt. Und sich die Kämpfe aussucht, die es lohnt, weil sie etwas zum Guten verändern… und ich webe religiöse Sprache in meinen TS Sprech ein, weil ich sicher bin, dass sie verstanden wird. Und es scheint, das ist so. zumindest dankt mir mein Gesprächspartner nach unserer Stunde und einem Segen mit Handauflegung, weil er sich selbst zumindest in diesem Augenblick wieder als geliebtes Gotteskind sehen und fühlen kann. Und weil ich als sein Spiegel ihn dabei begleitet habe, diesen Fokus wieder zu gewinnen. Das ändert nichts an den Schwierigkeiten und Herausforderungen im Außen. Aber alles an der inneren Bewertung derselben. Und gibt vielleicht Ressourcen und Mut frei, um auch dafür immer wieder kleine Schritte auf Lösungen zu entwickeln. Was für ein toller Beruf und eine wunderbare Begegnung. Ich bin hier gerade immer wieder zutiefst von Dankbarkeit erfüllt. Und fühle mich vom Leben und von Gott ins Vertrauen geführt. Welch ein Segen.