Badaaye Badaaye – Bald

Badaaye Badaaye – Bald

18. Januar 2024 0 Von Carmikahindo

Vom 10.01.2024

Heute morgen erwischt mich ein erster Abschiedsschmerz. Noch eine Woche werde ich hier in Leganga sein, dann noch ein paar Tage in Moshi und Nairobi und dann hoffentlich noch für 14 Tage im Kongo. Ich bin froh, dass ich die Zeit hier verlängert habe. Aber es ist schon verrückt, dass ich dem Schmerz nicht entgehen kann. Vorgestern kamen mir die Tränen, weil mein Lieblingsmensch nach etwas über 3 Wochen Besuch nun wieder heimgereist ist.

Gestern habe ich meine Visumsverlängerung bekommen, so dass ich nun in Ruhe noch ein paar Tage hier bleiben kann.

Und heute könnte ich heulen, wenn ich denke, dass ich nächste Woche Abschied nehmen muss. Von so vielen Menschen, die ich lieb gewonnen habe. Mit so knapp 30 werde ich am Sonntag ein kleines Essen veranstalten, als Abschieds- und Geburtstagsparty. Und das sind nur diejenigen, mit denen ich intensiveren Kontakt hatte.

Obwohl meine weiteren Wochen der Studienzeit ja von mir so geplant sind, kommt diese seltsame Unsicherheit hoch, wie das denn nun alles noch werden wird. Und etwas in mir ist jetzt schon in einem Trauerprozess.

In mir ist dabei jede Menge los. Über drei Wochen war ich ja jetzt mit Olli zusammen unterwegs. Wir haben wieder andere Seiten von Afrika erlebt. Und ich wollte so sehr, dass er es genauso lieb gewinnt wie ich. Was natürlich Blödsinn ist. Aber man kann seinem Herzen nicht diktieren, was es sich  wünscht. Und so war ich sehr im Paar-Modus. Und im Kümmerer Modus. Und vieles, was wir uns gedacht haben, ist einfach mal wieder ganz anders gekommen.

Allein schon, weil die Fluggesellschaft zwar nach langem Hin und Her den Rolli mitgenommen hat, aber die Batterie des E-Rollis draußen bleiben musste. Olli hat seinen Flieger verpasst wegen eines Unfallstaus und konnte zwar glücklicherweise noch am gleichen Tag in einem anderen Flieger kommen, aber seine ganze Rollianmeldung und der ganze Stress war ja für den verpassten Flieger gewesen.  Nun hat sein Kumpel zwar den Rolli mit Batterie zum Sperrgepäck gebracht, aber die haben die Batterie nicht eingecheckt, ohne dass der Fluggast selbst anwesend wäre (der war aber nun ja schon am Gate, und in Frankfurt sind die Wege echt zu weit, um nochmal eben umzukehren)

Also hatten wir einen schweren E-Rolli zur Verfügung, aber ich musste trotzdem schieben. Und das bei den Wegen hier, die oft sehr herausfordernd sind. Und hier im Zentrum konnten wir auch keinen normalen Handrolli leihen, weil die nix zusammenfaltbares da hatten.

Rollischubsen verändert etwas in unserer Dynamik. Ich komme in so eine seltsamen Assistenzrolle und Olli wirkt noch behinderter,  als er eigentlich ist.  Auch die Außenwahrnehmung verändert sich, wenn wir mit dem Rolli unterwegs sind. Gerade hier in Afrika, wo behinderte Menschen im Straßenbild meistens eher als Bettler auftauchen oder eben gar nicht sichtbar sind, weil sie keine Möglichkeit zur Mobilität haben. Und zusätzlich spreche ich die Sprache und Olli nicht.

Wir haben also nach zwei Monaten totaler Autonomie plötzlich ein ganz seltsames Gefälle. Verstärkt durch mein Verantwortungsgefühl, dass es ihm hier in „meinem“ Afrika gut geht. Gut ist, dass wir es beide wahrnehmen und benennen können. Und dass diese Dynamik ja nicht komplett fremd ist, sondern auch im Alltag zuhause immer mal wieder in abgeschwächter Form auftaucht. Doch durch die Fremde wird sie verstärkt und letztendlich auch unangenehmer. Kein Wunder, dass wir eine Weile gebraucht haben, um uns an unserer Zweisamkeit wieder richtig zu freuen.

Und mir ist deutlich geworden, Olli braucht ganz andere Rahmenbedingungen als ich, damit es ihm hier gut geht. Mobilität, Kommunikation, Ernährung. Wieviel Fremdheit verträgt er? Und was braucht er an Vertrautem, damit er sich gut und sicher fühlen kann. Für ihn ist es ja eine Erstbegegnung mit dem echten Schwarzafrika. Mit dem vielen Ungeplanten und Improvisierten, den manchmal beängstigenden  und manchmal einfach sehr unsicher wirkenden Bedingungen des Lebens.

Und den vielen Facetten, die nebeneinander und übereinander liegen.

So bin ich durch diese Urlaubszeit und durch Ollis Blick nochmal gefühlt fremder geworden und mehr in die Touristenrolle gerutscht, ohne mich wirklich so zu fühlen. Meine Verbundenheit mit den Menschen hier und meine Verbindung zu meinem Mann sind in eine seltsame Konkurrenz gegangen und ich kann nur schwer „einfach mein Ding machen“. Ich habe gemerkt, dass es schwer ist, in meiner Kraft und Lebendigkeit zu bleiben, wenn ich in der Loyalität zu meinem Partner bin. Als ginge das irgendwie nicht gleichzeitig. Und ist war gut, diese innere Dynamik zu spüren, auch wenn ich sie bisher nur schwer unterbrechen kann. Denn ich spüre, das geht mir manchmal zuhause auch so. „Wir“ und „Ich“  geht dann  nicht gleichzeitig. Während meiner Zeit alleine ging es mir oft dann schlecht, wenn ich gespürt habe, dass es Olli gerade nicht gut geht. 6000km Abstand kappen diese innere Verbindung überhaupt nicht. Und sobald es in unserer Kommunikation klar geworden ist, (und sei es, weil es keine Kommunikation gab) dass es bei ihm gerade schwierig ist, hab ich das in mir gespürt. Und weiß nun gar nicht, ob das eine Resonanz auf ihn ist oder eine eigene Not. Die Zeit in der räumlichen Entfernung und nun die gemeinsame Zeit hier sind sehr wertvoll, weil wir einander noch einmal ganz anders erleben und auch wachsam merken, was wir brauchen, damit es jedem von uns als Paar gut geht.  

Denn es gab noch viel mehr. Staunen und Spaß, Verwunderung und Hilfsbereitschaft. Wir haben zwei Tage Safari gemacht und im Ngorongoro Krater und im Tarangire Park die Tierwelt und die wunderbare Natur bestaunt. Wir haben die Insel Sansibar bereist und sind in einem Sturm ordentlich durchgepustet worden. Wir haben erfahren, dass wir in der schwülen Hitze Sansibars nicht ohne Aircondition schlafen können und so uns erlaubt, das Hotel zu wechseln und das Geld für das zuerst gebuchte einfach in den Wind zu schießen. (war ein teurer Urlaub)

Ich habe tatsächlich 3 oder 4 Tage fast nur rumgelegen und konnte das sogar geniessen, ok, dabei hat sowohl die Magendarmgrippe an Silvester wie auch die Abgeschiedenheit unseres Hotels, wo man ohne Mietauto auch kaum weg kam, beigetragen.

Wir haben geredet, gelacht, geweint, (ok, meist eher ich) uns verbunden gefühlt. Und sind in diesem schönen Land hier gemeinsam zu Touristen geworden. Ollis Blick war noch mal ganz anders, vieles hier ist mir sehr vertraut, sein Staunen, manchmal überfordert sein von den Gegensätzen der Welten mit so viel Armut und Reichtum, Lebendigkeit und Dreck, war nochmal gut zu erleben. Mein Kulturschock war ja durch meine Vorerfahrungen eher klein, sein Erleben von Fremdheit nochmal viel intensiver.

Und es macht mir nochmal klar, dass jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss, und dass ich keinen Einfluss darauf habe, was einem anderen Menschen wie gefällt. Der Abschied voneinander war traurig, ist aber dadurch entlastet, dass ich ja nur noch vier Wochen weg bin.

Doch jetzt kommt endgültig der Abschied von diesem Leben und den Menschen hier

Kaum ist Olli abgereist, bin ich unmerklich wieder in meine innere Freiheit gerutscht, mich hier ohne Plan und Wollen zu bewegen. Ich hatte kurz die Idee, was ich alles noch tun und schaffen will in der nun sehr klar gezählten Zeit und hab dann gedacht, nö, muss ich nicht. Und als ich es losgelassen habe, ging es mir wieder gut.

 Ich möchte mir das bewahren. Diese Fähigkeit, immer wieder meine Ideen und Pläne loszulassen und mich immer wieder jetzt einzulassen auf das, was mir im Moment begegnet. Ich glaube, das ist auch eine Fähigkeiten der Menschen hier. Sie sind immer wieder ganz im Moment. Und da es sowieso immer anders kommt, messen sie Plänen keine große Bedeutung zu. Ich glaube, das schützt sehr vor enttäuschten Erwartungen. Etwas, was uns Weissnasen das Leben oft schwer macht. Ich denke an viele unserer Anrufer in der TelefonSeelsorge, deren Vorstellungen davon, wie das Leben sein sollte/müsste sie so vom Leben abschneidet, dass sie in tiefe Einsamkeit rutschen. Wie sie in ein Leiden fallen, das ich hier  – obwohl das Leben voller Herausforderungen und Schwierigkeiten für viele ist – nicht so erlebe. Irgendwie erscheint es mir, dass die Menschen hier sehr in der Verbundenheit miteinander leben und darum nicht so sehr in der Gefahr sind, sich in traumatischer Vereinzelung zu verlieren. Verletzungen und Traumata gibt es auch, doch sie entstehen durch ganz andere Dynamiken.

Bald werde ich von hier fortgehen. Und trage dabei die Menschen im Herzen, die mich für eine Weile an ihrem Leben haben teilhaben lassen. Ich bin dankbar. In all dem Vielen und Fremden so viel Nähe erlebt zu haben. Mit den Menschen hier, mit meinem Liebsten und mit mir selbst

Bis bald.