
Kutembelea nyumbani – zu Besuch Zuhause
Letztes Wochenende habe ich mein Realitätstraining absolviert. Das bedeutet ich war für ein paar Tage zu Hause, um festzustellen, ob ich in meinem gewohnten Umfeld mit den Herausforderungen und Aufgaben klarkommen werde, ohne in Symptom Verhalten zurückzufallen.
Das ausgesuchte Wochenende war von langer Hand sehr voll geplant: zum Geburtstag hatte ich meinem Ehegespons Konzertkarten für den Freitag Abend geschenkt: heinz-rudolf Kunze solo in der Nähe von Leverkusen. Als klar war, dass wir das Wochenende nehmen, brauchte er sich keine andere konzertbegleitung suchen und ich war auch neugierig wie Heinz Rudolf Solo so klingt. Am Samstag war dann die Geburtstagssause von Ollis grossem Patenkind im Münsterland. Samstagabend dann wieder nach Hause und Sonntag ein Tag zum miteinander ausspannen. Dazu dann das ganze mit dem Zug, weil mir pro Strecke 4 Stunden autofahrt freitags und montags morgen echt zu viel war.
Es war ein sehr komisches Gefühl sich hier morgens früh vor dem Frühstück abzumelden und auf den Zug zu gehen. Freude und ein bisschen Sorge vor der Fülle an Terminen, und hoher Respekt vor der Aufgabe, dass wir abgesprochen haben, das Olli selbstständig für seine Assistenz sorgt und ich nicht automatisch in die Helferinnenrolle rutsche.

Es war super lieb von der Nachbarin, mich am Bahnhof abzuholen, damit ich ein bisschen Zeit allein zu Hause habe, bevor Olli von der Arbeit kommt.
Und das wiederum war irgendwie komisch. Glücklicherweise haben die Katzen einfach froh reagiert und mich nicht ob meiner langen Abwesenheit gedisst.

Es war sehr seltsam, mir Mittagessen zu kochen. Die Mengen selbst einzuschätzen und nicht zu viel zu essen. Herausfordernd. Die Automatismen sind schon sehr stark. Ich glaube ich werde zumindest zu Anfang auf Portionsgrößen noch mit Waage und Augenmaß schauen müssen, damit ich nicht automatisch drüber bin.
Weil es so gut passte, hatten wir dann spontan sogar noch einen Termin mit dem Versicherungsfuzzi, glücklicherweise nur kurz.
Auf dem Weg zum Konzert war ich mega angespannt und in der heftigen Überforderung. Was, wenn mir das zu laut ist und zu anstrengend? Und überhaupt dieses Wochenende mit dem vielen Programm, bin ich eigentlich bescheuert… Erstaunlich wie gemein und entwertend ich immer noch mit mir sprechen kann. Das Blöde ist auẞerdem, wenn das alles im Kopf kreist und ich es auch noch ausspreche, macht es auch mit Olli was.
Als dann ihm und mir klar wurde, dass es nur ums aussprechen geht und keiner was verändern muss, sind wir das Risiko, uns übel zu verhaken, gekonnt umgangen. Denn die Gefahr bestand, dass mein Aussprechen bei ihm Schuldgefühle und Hilflosigkeit auslöst. Kurz drohte es, dass wir uns in einem Vorwurfsdickicht verlieren. Wir konnten klären, dass es nicht um Vorwürfe geht. Aber das ist schwer, wenn wir uns voneinander angegriffen erleben.

Doch glücklicherweise sind wir im Gespräch geblieben und nachdem ich so langsam wieder in einem Kontakt mit mir selbst im Hier und Jetzt angekommen bin und aus den Gedankenschleifen ausgestiegen bin, haben wir einen wunderschönen Abend verbracht. Das Solokonzert war nämlich ausgesprochen angenehm und leise, mit den nachdenklichen und eher sanften Liedern, die mich tief berührt haben. Und die Liebeslieder haben wir sehr für uns gehört und gespürt. Kostbare Augenblicke im Miteinander. Dafür bin ich sehr dankbar.

Unsere Hotelübernachtung war dann eher suboptimal, in einem Hotel garni ist abends gar niemand mehr. Wir hatten den Code für den schlüsselkasten, dort war aber nicht, wie erwartet ein Zettel mit einem Hinweis welches Zimmer für uns wäre, sondern gefühlt freie Auswahl. Und alle Zimmer waren nicht so wirklich hübsch. Ich glaube Olli war darüber frustrierter als ich. Aber ich habe in dem Bett auch gut geschlafen.
Am nächsten Tag nun weiter ins Münsterland.

Familienfeste sind ja oft ein Treffpunkt von sehr unterschiedlichen Menschen, die alle ihre alte Dynamik mitbringen. Sonst ist es mir oft passiert, dass ich in Loyalität mit meinem Liebsten in einer sehr seltsamen Stimmung bei sowas bin. Es ist nicht meine Familie, es sind nicht meine Geschichten, die die Begegnung manchmal schwierig machen, aber mein mitfühlen mit meinem Mann und meine bisher oft fast automatisierte Unterstützung für ihn macht oft auch psychisch was mit mir. Dann komme ich nicht in Kontakt, habe das Gefühl, keiner kann mich und meine Welt erfassen oder verstehen und bin am Ende oft sehr erschöpft.

Diesmal war mir das ja sehr klar, und ich habe geübt, ganz bei mir zu bleiben, selbstständig in Kontakt zu gehen und mich zu schützen, wo das schwierig ist. Und so ergaben sich einige nette kurze Gespräche, ich konnte erzählen, wie es mir hier ergeht. Und es war nicht so wichtig ob die das alle verstehen und nachvollziehen können. Herausfordernd war dann das Buffet. Aber selbst das ging einigermaßen gut.
Im Hinblick auf solche Selbstbedienungsgeschichten mit leckerem Essen merke ich echt, wie meine Freude am Genuss und meine Gier auf mehr Geschmack nicht wirklich hilfreich sind, um mich im Moment meines Satt Seins zu bremsen.
Und es ist so schwer zu unterscheiden, was ist in so einem Rahmen auch vielleicht ein ganz normales „drüber sein“ und ab wann ist es essgestört? Und wie denke ich dann selbst über mich und beurteile mich?…
Abends wieder zu Hause angekommen waren wir dann beide richtig platt. Und ich habe gemerkt, wie ich wieder in so einem diffuses „nicht fühlen“ reinrutsche. Das ist ja grundsätzlich wahrscheinlich auch völlig okay, wenn man müde ist, es hat aber für mich echt schwer gewogen. Am Sonntag haben wir uns gemeinsam ausgeruht, dabei aber auch festgestellt dass unsere Vorstellungen von miteinander sein sich manchmal sehr voneinander unterscheiden. Da wo Olli völlig zufrieden ist, dass ich einfach nur neben ihm bin, spüre ich ihn kaum und gerade dann in innere Not. Dummerweise auch so, dass ich dann nicht weiß was ich brauche und das auch nicht sagen kann.
Diese Dynamik kennen wir schon und das gerät oft an den Punkt, wo die Alternative am Ende ist, dass einer von uns sich falsch fühlt oder falsch macht.
Das hilft natürlich überhaupt nicht.
Und alles ist kein großes Drama, aber es füttert diese uralte Angst in mir dass ich nur gut für mich sorgen kann, wenn ich alleine bleibe. Und ich will ja nicht in dem Dilemma stecken, entweder sorge ich für meine Lebendigkeit oder ich lebe in einer Beziehung, weil ich meine Ehe und meine Beziehung auf so vielen Ebenen für kostbar und wertvoll halte. Und es immer wieder Punkte gibt, wo es herausfordernd ist.
So bin ich am Montag morgen früh mit gemischten Gefühlen und viel nachzudenken zurückgefahren nach Bad Oeynhausen. Mit den Fragen, wie ich dann in meiner Lebendigkeit und in meiner Selbstwahrnehmung in der Gegenwart bleiben kann, wenn ich mich im Kontakt mit meinem Mann so leicht dimme, und mich dann nicht mehr wirklich spüre. Es fühlte sich alles plötzlich super schwer und herausfordernd an. Ich fühle mich vom Leben mal wieder ziemlich ungerecht behandelt und hatte tiefe Sorgen.
In mir war ganz viel entweder Oder und die Unfähigkeit mich für eine Seite zu entscheiden.
Die Erkenntnis, dass meine heutige Beziehung die alten Muster, die auch die Essstörung stark beeinflussen, eher stabilisiert und damit auch noch schwieriger macht, mich beim Essen gut zu regulieren hat mich noch mal emotional viel tiefer betroffen gemacht.
Es ist eben nicht nur die Biografie und die Erfahrungen früher, die das Essen zu einer Lösung haben werden lassen, sondern auch die ganz aktuelle heutige Beziehungsdynamik weil Ollis und meine Muster immer wieder so perfekt ineinander greifen.
Ich war froh, wieder hier anzukommen und jetzt auch noch Zeit zu haben, um diese Dynamik zu untersuchen und zu schauen, mit welchen Mitteln ich da was anders machen kann. Darum habe ich im Gespräch meiner Therapeutin auch meine Abreise hier auf den 5. Dezember festgelegt.
Krass war für mich, dass ich kurz nach meiner Ankunft hier wieder sehr stark mich selbst wahrgenommen und gefühlt habe. So als wäre das hier erlaubt und zu Hause viel schwieriger.
Das hat mich natürlich noch mal ziemlich gebeutelt. Dazu kamen einige Erfahrungen von nicht Kontakt mit den Leuten in der therapiegruppe, ein Abschied von einer lieben Mitpatientin und wieder mal jede Menge Emotionen. Ich habe ja gesagt, ich will hier forschen und fühlen. Habe ich jetzt auch gemacht noch mal ausführlich. Diese vielen Ambivalenzen und dilemmata haben mich erstmal ganz schön fertig gemacht diese Woche. Glücklicherweise hatte ich gute Begleitung. Und habe wieder festgestellt dass ich in allem heftigen Gefühl inzwischen in der Lage bin, mich selbst und diese Gefühle auszuhalten. Wenn ich drin stecke fühlt sich das sehr bedrohlich an, aber ich beobachte mich die ganze Zeit dabei selbst und etwas in mir weiß, dass das Gefühl nicht alles ist. Mit den richtigen Fragen aus dem therapeutischen Team und immer mal wieder auch einer guten Begegnung mit den anderen Patienten hier hat es sich im Laufe der Woche dann irgendwann gedreht. Und ich konnte Aussteigen aus diesem furchtbaren Überforderungsgefühl, dass ich ja kaum eine Chance habe wirklich was zu verändern, weil es immer und überall Thema ist und sich auf so vielen Ebenen reproduziert.
Und diese überforderung hat sich in Tränen gezeigt, in Verzweiflung, in abgeschnitten sein, in so einer dumpfen Aggression gegen mich und die anderen, dass ich es kaum mit mir ausgehalten habe. Und dann bin ich Donnerstag im Laufe des Tages wieder in mir angekommen. In meiner Kraft. In meiner Zuversicht. Und in dem festen vertrauen, dass ich den Weg zur Gesundung werde gehen können. Im Kontakt mit Olli und dem Austausch der verhindert dass wir automatisch unsere Muster einfach nur weitermachen. Mir ist klar geworden, dass ich für manches immer noch eine helfende Hand und deine freundliche Umarmung brauche, vor allem wenn diese frühkindlichen Bedürfnisse nach Nähe in mir hochkommen. Alte beziehungswunden kann ich eben nicht alleine heilen. Da brauche ich einen Gegenüber. Aber solche gegenüber habe ich. Mein Mann und jede Menge andere Menschen in meinem Leben, die mich schätzen und lieb haben. Die Carmen 2024 ist nicht mehr hilflos. Und meistens weiß sie das auch. Ich habe mich entschieden, meine Ressourcen und meine hilfreichen Fähigkeiten nicht mehr zu fasten. Denn ich habe ja hier bisher auch versucht, die Seelsorgerin sehr im Zaum zu halten. Mir ist aber klar geworden dass in dieser seelsorglichen Zuwendung zu anderen auch ganz viel nährendes für mich selber liegt, wenn ich das nicht gegeneinander ausspiele. Das mit den anderen sein bringt mich in meine Präsenz und meine Kraft. Und wenn meine Schale voll ist, dann darf das was überfließt gerne anderen helfen, um mit Bernhard von Clairveaux zu sprechen.
Freitag in der Gruppentherapie habe ich gesagt: ich glaube ich habe jetzt erstmal genug gefühlt. Ich habe den Spuren meiner Geschichte und dem Gefühlen meiner Vergangenheit Raum gegeben. Ich habe anerkannt, dass manches echt doof für mich war, auch wenn ich gleichzeitig weiß, dass alle Beteiligten ihr Bestes gegeben haben. Mir ist klar geworden dass ich diese alten kindlichen Stimmen in mir nicht mundtot machen will und kann, aber dass ich heute tatsächlich in der Lage bin, selbst freundlich mit mir und diesen alten Impulsen umzugehen. Meistens. Und ich vertraue darauf, dass ich immer wieder einen Weg finde, freundlich und klar zu mir zurückzufinden, wenn ich mich in meine alten Stories verwickle.
Meine letzten Tage hier will ich nutzen, um noch stärker in Bewegung zu kommen, um Dinge auszuprobieren die ich mir schwierig vorstelle und um den Kontakt, der mit anderen möglich ist zu genießen.
Mal gucken, ob das klappt. Bleibt behütet!
Und danke für alle Botschaften und freundlichen Erinnerungen, die mir in den letzten Tagen geholfen haben, meine Gegenwart als die wunderbare Zeit zu erkennen, in der ich heute leben darf.

